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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller
Autoren: Tom Egeland
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die Dunkelheit aufhört und das Bewusstsein anfängt. Nur, dass etwas weh tut. Und dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist.
    Sie blinzelt, stöhnt leise.
    Ein Krankenhaus?
    Das Zimmer ist kahl. Weiße Wände. Ein großer Spiegel. Ein Fernseher. Eine geschlossene Tür. Eine Glühbirne an einem Kabel unter der Decke.
    Sie erinnert sich an den Mann. Den Lieferwagen.
    Ich träume …
    Sie liegt auf einer Matratze. Jemand hat ihr ein steifes, weißes Nachthemd angezogen. Ihr linker Arm ist an einem Bügel in der Wand festgekettet.
    … ein Albtraum .
    Sie kneift die Augen wieder zu.
    Festgekettet?
    Das kann nicht sein. Ich muss weiterschlafen.
    »Nummer fünf!«
    Seine Stimme.
    Das Herz explodiert in ihrer Brust. Die Muskeln spannen sich an. Sie reißt die Augen auf, holt hicksend Atem, sieht ihn nicht.
    »Habe ich dich erschreckt?«
    »Ja!« Ihre Stimme klingt dünn, wie die eines kleinen Mädchens.
    Sie muss den Kopf nach hinten beugen, um ihn sehen zu können. Er sitzt auf einem Hocker direkt hinter ihr. An der Wand.
    »Schmerzen?«
    Sie schluchzt.
    »Angst?«
    Sie schluchzt wieder.
    »Das verstehe ich, das verstehe ich gut.«
    Er wird mich vergewaltigen, denkt sie. Erst vergewaltigen und dann töten. Wenn er mich am Leben lassen wollte, würde er eine Maske tragen. Oder ich eine Augenbinde.
    Es wundert sie nur, dass er so nett aussieht. So normal. Genau wie… ja, wie alle.
    Nur mit den Augen stimmt etwas nicht. Sie sind hellblau. Wenn man tief in sie hineinblickt, kann man… Es gelingt ihr nicht, die richtigen Worte zu finden. Aber irgendetwas dort drinnen scheint abgestorben zu sein.

    »Ich habe dich gefilmt«, sagt er zufrieden. »Willst du mal sehen?«
    Es sind ein paar Stunden vergangen. Sie sitzt aufrecht auf der Matratze und isst. Eine Scheibe Weißbrot mit Camembert und Paprika. Ein paar kleine säuerliche, grüne Trauben. Orangensaft.
    Am liebsten würde sie Nein sagen, doch sie sagt: »Ja, gerne.«
    Er richtet die Fernbedienung auf den Fernseher.
    Sofort erkennt sie das Haus wieder, in dem sie ein Zimmer gemietet hat. Dann sieht sie sich selbst im Garten. Sie mäht im Bikini den Rasen. Ihr läuft ein Schauer über den Rücken – er muss hinter der Hecke gestanden haben!
    Ein neues Bild: eine Straße. Irgendwo in Frogner. Boutiquen. Die Straßenbahn rattert vorbei. Ein Vogelnest. Bürgersteig. Sie nähert sich aus dem Hintergrund, Arm in Arm mit einem Mann.
    Sie erkennt ihn nicht sofort.
    Erlend?
    Mein Gott, denkt sie, das war doch im Mai!

Erster Teil

Das erste Zeichen

1
    Der erste Brief kam an einem Montagvormittag.
    Wenn sie später an diesen Tag zurückdachte, erinnerte sie sich nur noch an die unwichtigen Details. An die Sonne, die durch die verstaubten Jalousien in die Redaktion fiel. An das Knacken eines Radios, bei dem der Sender nicht richtig eingestellt war. Das Klingeln eines Telefons. Sie erinnerte sich an den Geschmack des Mentholbonbons, das sie im Mund hatte, und an den leicht verbrannten Geruch, der aus der Lüftung kam.
    Es war ein großer, braungelber Umschlag. Gefüttert. Ihr Name stand mit Blockbuchstaben darauf. Rot. KRISTIN BYE. Mit zwei roten Linien unterstrichen.
    Tief in ihrem Inneren war etwas zu Eis erstarrt.
    Sie wog den Umschlag in der Hand. Keine Bombe, so viel war klar. Vielleicht ein paar verfängliche Bilder? Man darf die Hoffnung nie aufgeben, dachte sie kichernd.
    »Kristin?«
    Mit dem langen Zeigefingernagel öffnete sie den Umschlag. Wieder zögerte sie. Und schauderte. Kristin, bitte, jetzt reiß dich aber zusammen, wirklich! Ohne aufzusehen, schüttete sie den Inhalt des Umschlags auf die Schreibtischplatte.
    Ein VHS-Band. Ein zusammengefalteter Zettel.
    »Kristin!«
    Sie zuckte zusammen. Am anderen Ende des Redaktionsbüros winkte der Chef vom Dienst mit dem Telefonhörer.
    »Für mich?«, rief sie.
    Der Chef vom Dienst verdrehte die Augen. »Ein Tipp! Ein Überfall! Wie ist deine Durchwahl?«
    Unbewusst steckte sie den Zettel in die Tasche ihres Rocks. Muss das sein ?, fragte sie lautlos mit den Lippen.
    Es musste.
     
    Niemand hatte richtig verstanden, warum Kristin Bye beim Dagbladet aufgehört hatte, um beim Fernsehsender Kanal 24 anzufangen. Sie verstand es ja selbst kaum. Manchmal fühlte sie sich wie eine Deserteurin.
    Auf dem Weg zum Übertragungswagen im Hinterhof dachte sie mit gemischten Gefühlen daran, dass es heute auf den Tag genau vier Monate her war, dass sie die Tür der Feuilletonabteilung hinter sich zugezogen hatte. Der Abschied von
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