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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me
Autoren: Dietmar Sous
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Zucker«, sagte die Frau. » Das andere Bein wollen sie mir nach Neujahr auch noch wegnehmen.«
    Ich strich über Chet Bakers Krawatte. Sie war unverzichtbar und hatte kein Blut abbekommen. Frau Hauenstein lag da wie eine Mumie, viel zu klein für das große, klobige Bett. Die Haare wirr, verklebt, das Gesicht vergreist. Kein Lippenstift, kein Teenagerparfüm. Die Zigaretten, die ich ihr mitgebracht hatte, beachtete sie nicht. Sie atmete schwer und verschleimt. Endlich sagte sie etwas.
    » Du hast nicht auf mich aufgepasst, du Hund.«
    Ich hielt die Luft an, um ihren Atem ertragen zu können.
    » Das andere Bein wollen sie mir auch noch wegnehmen«, wiederholte die Frau im Rollstuhl. » Wann ist nach Neujahr?«
    Schonkost rollte an, dazu Medikamente und eine Pflegerin, die wie eine Kindergärtnerin redete. Als sie weg war, spuckte Frau Hauenstein die Pillen und Dragees aus. Die amputierte Frau rappte ihren Lieblingssatz.
    » Schnauze, alte Schachtel«, sagte Frau Hauenstein.
    Sie rappelte sich mühsam hoch. Beim Öffnen der Zigarettenpackung wollte sie sich nicht helfen lassen. » Rauchen ist natürlich verboten«, sagte sie. » Ist ja ein KZ hier.« Ihre Hände flatterten.
    Ich schaute weg. Noch mehr Zeit verging, bis sie ihr Feuerzeug in ihrem Bettschränkchen gefunden hatte. Ein Wasserglas ging dabei zu Bruch, und ihr Nachthemd verrutschte. Einen schrecklichen Augenblick lang sah ich dunkelbraune Flecken, viele Knochen und eine verwitterte Brust. Die Frau im Rollstuhl war eingeschlafen. Stirn, Nase und Haarspitzen ruhten in einem halb vollen Suppenteller.
    » Die da macht es nicht mehr lange«, sagte Frau Hauenstein und zeigte auf ihre Mitbewohnerin. » Genau wie ich.«
    Und dann befahl sie übergangslos: » Venedig. Fahr mich da hin. Los, beweg deinen Arsch!«

16
    D aydream von den Lovin’ Spoonful war in den USA von Platz 4 auf die Nummer 9 gefallen, Dusty Springfield stand in Großbritannien mit You Don’t Have To Say You Love Me an der Spitze. Und Ringo war in Lebensgefahr! Ein, wie es hieß, weltberühmter Astrologe sah einen Unfall mit schlimmen Folgen voraus, ungünstige Sternenkonstellationen brachten Gefahr. Auch im häuslichen Bereich eine endlose Kette von Behinderungen und Schwierigkeiten, der Grund: zu viel Maßlosigkeit, Selbstvertrauen und Risikobereitschaft. Erst ab 1970 würde der Schlagzeuger der Beatles wieder unter den glücksverheißenden Einfluss des Uranus geraten.
    Und dafür war ich zum Dieb geworden. Hatte mich demütigen, verhaften und mir von Karl-Heinz II . die Nase zerschlagen lassen.
    Während Frau Hauenstein beim Friseur saß, vertrieb ich mir die Wartezeit in einem vollgestopften Secondhand-Buchladen, in dem es auch alte Zeitungen und Zeitschriften gab, die einen pilzigen Geruch verströmten. Der Händler, ein schmächtiger Typ mit langen dünnen Haaren, wollte mir die BRAVO vom 16. Mai 1966 nur dann verkaufen, wenn ich den ganzen Jahrgang nähme, 52 Hefte für 200 Euro.
    » Ich überleg’s mir«, sagte ich.
    » Das sagen alle«, sagte der Händler gleichgültig.
    Frau Hauenstein hatte sich die Haare kurz schneiden und hellblond färben lassen. Ihre Augenbrauen waren gezupft, die Lippen rot. Als ich den Salon betrat, zahlte sie gerade. Flatterig öffnete sie ihre Handtasche, in die sie ihre gesamten Ersparnisse gestopft hatte. Fünfziger, Hunderter und Zweihunderter rutschten, schwebten heraus, bedeckten den Fußboden. Zwei Friseurinnen, Frau Hauenstein und ich gingen in die Hocke.
    Die Bankangestellte hatte beim Auflösen des Sparbuchs zu Reiseschecks geraten, aber Frau Hauenstein wollte ihr Geld unbedingt sehen, anfassen, mit sich herumtragen.
    Nachdem sie sich in meinen Wagen gequält hatte, sagte sie: » Ziemlicher Blechschaden da vorne.«
    » Reine Vorsichtsmaßnahme«, antwortete ich. » Damit der Wagen in Italien nicht geklaut wird.«
    Ich startete den Motor, die Reise konnte beginnen. Das Radio sang aber nicht Azzurro, sondern Driving Home For Christmas. Ich kriegte die in einem Meer aus Zuckerwasser schwimmende Melodie von Honey nicht aus dem Kopf.
    » Hat Chet Ihnen mal was auf der Trompete vorgespielt?«, fragte ich. » Ein Solokonzert nur für Sie?«
    » Nein«, antwortete Frau Hauenstein, » Chet wollte immer nur, dass ich auf seiner Trompete spiele, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Frau Hauenstein lachte und hustete, während sie sich eine Zigarette anzündete.
    Es wurde schnell dunkel. Ein Polizeiauto überholte uns. In den Radionachrichten kein Wort über
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