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Suzanna

Suzanna

Titel: Suzanna
Autoren: Nora Roberts
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Geschichten zurückgekommen war. Er war der Mann gewesen, der mit Leinwand und Pinsel zaubern konnte.
    Holt erinnerte sich daran, wie er als Kind die Stufen zu dem Atelier hinaufgestiegen war, um den großen Mann mit dem schneeweißen Haar bei seiner Tätigkeit zu beobachten. Es hatte mehr nach einem Kampf als nach Arbeit ausgesehen. Ein elegantes und leidenschaftliches Duell zwischen seinem Großvater und der Leinwand.
    Sie hatten lange Spaziergänge unternommen, der kleine Junge und der alte Mann, entlang der Küste, über die Felsen, hinauf zu den Klippen. Seufzend lehnte Holt sich zurück. Sehr oft waren sie zu den Klippen gleich unterhalb von The Towers gewandert. Selbst als Kind hatte er begriffen, dass sein Großvater mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen war, wenn er auf das Meer geblickt hatte.
    Einmal hatten sie auf den Felsen gesessen, und sein Großvater hatte ihm eine Geschichte über die Burg auf den Klippen und die Prinzessin, die darin wohnte, erzählt.
    Hatte er denn über The Towers und Bianca gesprochen?
    Ruhelos stand Holt auf, um ins Haus zu gehen. Sadie blickte hoch und legte ihren Kopf dann wieder auf die Vorderpfoten, als die Fliegengittertür zuschlug.
    Das Cottage gefiel ihm besser als das Zuhause, in dem er aufgewachsen war. Es war ein sauberes, seelenloses Haus mit abgetretenem Linoleum und dunkel getäfelten Wänden gewesen. Holt hatte es nach dem Tod seiner Mutter vor drei Jahren verkauft.
    In jüngster Zeit hatte er das Geld für einige Reparaturen und Modernisierungen in dem Cottage benutzt, jedoch das Haus weitgehend so erhalten, wie es zu Zeiten seines Großvaters gewesen war.
    Ein Haus ohne Schnörkel, mit verputzten Wänden und Holzböden. Der ursprüngliche Kamin war ausgebessert worden, und Holt freute sich auf den ersten kühlen Abend, um ihn ausprobieren zu können.
    Das Schlafzimmer war ein winziger Anbau. Er mochte es, nachts im Bett zu liegen und den Regen auf das Blechdach trommeln zu hören. Die Stufen zu dem Atelier seines Großvaters waren verstärkt worden, genau wie das Geländer entlang der offenen Balustrade. Er kletterte jetzt hinauf, um sich in dem weiten, luftigen Raum im Dämmerlicht umzusehen.
    Manchmal dachte er daran, Dachfenster einsetzen zu lassen, doch es kam ihm nicht in den Sinn, den Fußboden herzurichten. Das dunkle alte Holz wies Farbflecke auf, die von Pinseln oder Paletten getropft waren. Es gab Streifen von Karmesin und Türkis, Smaragdgrün und Kanariengelb. Sein Großvater hatte bei der Arbeit das Lebendige, Leidenschaftliche, sogar Gewalttätige bevorzugt.
    An einer Wand lehnten Leinwände – Holts Vermächtnis von einem Mann, der endlich in seinen letzten Jahren Anerkennung und finanziellen Erfolg gefunden hatte. Die Gemälde waren viel wert. Doch genauso wenig, wie er je in Betracht gezogen hatte, die Farbe vom Fußboden wegzuschleifen, hatte er jemals in Betracht gezogen, diesen Teil seiner Erbschaft zu verkaufen.
    Holt kauerte sich hin und begann die Bilder durchzusehen. Er kannte sie alle, hatte sie unzählige Male betrachtet. Er arbeitete sich zu dem Porträt vor, dessentwegen er heraufgekommen war.
    Die Frau war schön wie ein Traum – ein fein geschnittenes Gesicht, eine Haut wie Alabaster. Rotgoldenes Haar war von einem anmutigen Hals zurückgekämmt. Volle, schöne Lippen lächelten nur ein klein wenig. Es waren die Augen, die Holt wie stets anzogen. Sie waren grün wie das Meer bei Nebel. Es war nicht ihre Farbe, die ihn fesselte, sondern der Ausdruck, der Blick, die Emotion, die von dem Pinsel und dem Geschick seines Großvaters eingefangen worden waren.
    Diese stille Traurigkeit, dieser innere Schmerz. Es war fast zu qualvoll hinzusehen, denn zu lange betrachten hieß fühlen. Er hatte diesen Ausdruck heute in Suzannas Augen gesehen …
    Kann das Bianca sein?, fragte er sich. Die Ähnlichkeit war vorhanden. Und die Augen ließen ihn an Suzanna denken.
    Weil ich zu oft an sie denke, sagte er sich und stand auf, drehte das Porträt jedoch nicht wieder zur Wand um. Er stand lange da, betrachtete es und fragte sich, ob sein Großvater die Frau geliebt hatte, die auf der Leinwand zu sehen war.

    Es wird wieder heiß, dachte Suzanna. Obwohl es noch nicht einmal sieben Uhr war, war die Luft bereits stickig.
    Im Laden überprüfte sie die kühl gelagerten Blumen und hinterließ eine Nachricht für Carolanne, sie solle die Nelken zum halben Preis abstoßen. Zufrieden goss sie die Topfpflanzen. Um halb acht warf sie noch einen Blick in
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