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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten
Autoren: Carl Hiaasen
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hervor und suchte mit den Blicken die Bäume ab, um sich zu vergewissern, dass der große Adler noch über ihn wachte. Während dieser Zeit schlief Sammy Tigertail ungestört, denn Wilson und Piejack zeigten sich nicht.
    An dem Tag, als Sammy Tigertail damit fertig war, die Gibson wiederherzustellen, begann er, ein Lied für seine Mutter zu komponieren. Musikalisch war er näher an Neil Young als im traditionellen Green-Corn-Gesang verwurzelt, nichtsdestoweniger gefiel ihm sein erster Versuch. Später fuhr er mit dem Flachboot auf den Fluss hinaus und begann, nach Barschen zu angeln. Er bekam einen ordentlichen Brocken an den Haken, und der Fisch sprang ein paar Mal, was einen drei Meter langen Alligator anlockte. Das Tier zeigte keinerlei Furcht vor dem Indianer, der sich bemühte, es zu verscheuchen, indem er brüllte und mit einem Froschspeer aufs Wasser schlug. Selbst nachdem er den Fisch ins Boot gezogen hatte, blieb der Alligator in der Nähe, sein schwarzes, gerilltes Profil schwebte hinter dem Boot in der Strömung. Der Anblick erinnerte Sammy Tigertail an seine schimpfliche Tätigkeit in der Ringkampfgrube im Reservat; er gelobte, nie wieder einem Alligator etwas anzutun, es sei denn, es ginge ums Überleben.
    Zurück im Lager, reinigte und kochte er den Barsch. Dann löschte er das Feuer, zog sich aus und schwamm in die Bucht hinaus, um eine Herde Delphine zu beobachten, die Meeräschen vor sich her trieben. Er war 100 Meter vom Ufer entfernt, als der geheimnisvolle Hubschrauber zurückehrte und im Tiefflug von Norden her näher kam. Ohne jede Möglichkeit, sich zu verstecken, ließ Sammy Tigertail sich senkrecht ins Wasser sinken und bewegte die Beine gerade noch so viel, dass sein Kinn über der Oberfläche blieb. Er hoffte, dass sein dunkler Kopf von oben wie eine auf den Wellen treibende Kokosnuss aussehen würde.
    Der Helikopter legte sich in die Kurve und hing dann dicht über den Delphinen in der Luft, die anfingen, zu springen und Überschläge vorzuführen; wie silbernes Feuerwerk sprühten die Äschen in alle Richtungen. Er war nahe genug, dass Sammy Tigertail die Gesichtszüge des Piloten ausmachen konnte und auf der Passagierseite eine junge Frau, die das muntere Treiben durch einen Feldstecher beobachtete. Der Seminole blinzelte das Brennen des Salzwassers weg, damit er die Frau genauer betrachten konnte, deren Haar im Sonnenlicht kastanienrot aussah. Als sie den Feldstecher absetzte, sah sie sehr wie Gillian aus.
    Wassertretend verharrte Sammy Tigertail reglos und widerstand dem Drang zu winken. Die Vorstellung, dass eine wilde Collegestudentin in Netzhöschen nach ihm suchen könnte, erschreckte ihn nicht, gleichzeitig jedoch war er den Delphinen dankbar, dass sie sie ablenkten. Er konnte sich Gillians Hälfte des Handygesprächs lebhaft vorstellen, wie sie dem armen, streberhaften Ethan schadenfroh beschrieb, wo sie war und was sie gerade sah.
    Als die »Delphine in Freiheit« -Show zu Ende war, flog der Helikopter weiter. Sammy Tigertail schwamm zum Strand zurück und ging fast eine Stunde lang am Ufer entlang. Von dem Adler war nichts zu sehen, und der Seminole kehrte traurig ins Lager zurück; wahrscheinlich war der Vogel von dem lärmenden Hubschrauber vertrieben worden. Er ließ sich mit seiner Gitarre in seinem behelfsmäßigen Unterschlupf nieder und arbeitete weiter an seinem Lied, dem, wie er mutmaßte, Gillians ausgelassene kreative Vorschläge durchaus gutgetan hätten.
    Kurz vor der Abenddämmerung schlug etwas hörbar auf dem Palmgeflecht über Sammy Tigertails Schlafsack auf. Hastig ergriff er Perry Skinners 45er und rutschte unter dem Schutzdach hervor, wo er sich den frisch abgenagten Gräten eines Roten Umberfisches gegenübersah. Langsam hob der Seminole den Blick.
    Über ihm, auf dem höchsten Ast einer vom Blitz versenkten Mangrove, kaute der alte Adler an rosafarbenen, nudelartigen Gedärmschnüren. Der Seminole grinste und rief dem Vogel in gebrochenem Muskogee etwas zu, der so tat, als höre er ihn nicht.
    Später verlegte Sammy Tigertail sein Nachtlager unter die Sterne. Obwohl die Temperatur rasch sank, zündete er kein Feuer an. Der Kriegergeist seines Ur-ur-urgroßvaters war irgendwo in der Galaxie auf Reisen, und Sammy Tigertail wünschte ihm eine gute Nacht. Dann schloss der Indianer die Augen und sann darüber nach, was er tun sollte, wenn Gillian morgen mit dem Hubschrauber zurückkäme.
    Vielleicht würde er sich verstecken. Vielleicht auch nicht.
     
    Honey
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