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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten
Autoren: Carl Hiaasen
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das Boot. Tags zuvor war ein Hubschrauber ein halbes Dutzend Mal über ihn hinweggeflogen – nicht die Küstenwache oder die Park Ranger, nichtsdestotrotz war Sammy Tigertail nervös. Er wusste, dass da irgendjemand irgendetwas suchte, obgleich er nie auf den Gedanken gekommen wäre, dass es Gillian St. Croix war, die nach ihm suchte, und dass sie den Charter für den Hubschrauber mit den Studiengebühren bezahlte, die sie von der Florida State University zurückbekommen hatte. Sie war kein Fighting Seminole mehr.
    Geschützt von einem ungeschickt gewobenen Baldachin aus Palmwedeln, verbrachte Sammy Tigertail die Stunden des Tageslichts damit, Reverend MacCauleys Aufzeichnungen noch einmal zu lesen und eine neue Gitarre zu bauen. Aus den Trümmern der Gibson hatte er den Hals, die Wirbel und fünf Saiten gerettet; den Klangkörper schnitzte er mühevoll mit einem Jagdmesser aus einer dicken Teakplanke, die von einem verfallenen Segelboot stammte. Sammy Tigertail war beileibe kein Handwerker, doch es war eine befriedigende Arbeit und eine Aufgabe, mit der die erfinderischen Calusa einverstanden gewesen wären.
    Verpflegung und Benzin für einen Monat waren von Sammys Halbbruder Lee geliefert worden; Sammy hatte ihn mit dem Handy angerufen, dass er in Piejacks Flachboot gefunden hatte. Es war Lee gewesen, der ihm das von Wilsons Auto berichtet hatte, und er war auch der Meinung gewesen, dass es verfrüht wäre, wenn Sammy jetzt ins Reservat zurückkehrte. Während Lees Besuch hatten sie Orte und Zeiten für weitere Lieferungen vereinbart. Lee, der wusste, dass sein Bruder sich in der Wildnis nicht so gut zurechtfand wie ein Vollblut-Seminole, hatte außerdem einen Kompass, eine Taucheruhr, eine Seekarte und einen Beutel mit Leuchtkugeln mitgebracht.
    Nachts wurde Sammy Tigertail im Schlaf gelegentlich von Wilsons Geist belästigt, der sich verdrossen darüber beklagte, dass er die Ewigkeit am Grunde eines Flusses mit Louis Piejack verbringen müsse.
    »Ich dachte, du würdest dich über Gesellschaft freuen«, meinte er, als der tote Tourist zum ersten Mal im Lager bei Toms Bight erschien.
    »Der Kerl ist der letzte Drecksack! Nicht mal die verdammten Krabben gehen an den ran« ,maulte Wilson.
    Um der dramatischen Wirkung willen hatte er Piejacks Geist mitgebracht, doch der Indianer blieb hart. Der verkommene Fischhändler sah im Tod nicht schlimmer aus als damals, als er noch am Leben gewesen war; die Aasfresser des Flusses mieden ihn wie ein Toxin. Wilson dagegen verschwand bissweise.
    »Du hast doch gesagt, du wärst einsam«, meinte Sammy Tigertail.
    »Einsam ja – aber nicht verzweifelt. Der Typ ist voll der Perversling« ,wütete der tote Tourist. »Ich fasse es nicht, dass ihr wegen diesem Vollidioten eine tadellose Gitarre kaputtgemacht habt. «
    Da sein Gesichtsskelett durch Perry Skinners tödlichen Schlag eingedrückt worden war, konnte Louis Piejack nichts Wirksames zu seiner Verteidigung vorbringen. Es hätte auch keine Rolle gespielt.
    »Ich hab ihn nicht umgebracht«, sagte der Seminole.
    »Was ist denn aus dem Typen geworden, dem du ’ne Kugel verpasst hast?«, wollte Wilson wissen. »Der Dicke mit dem Anzug. Verdammt, mit dem würde ich lieber rumhängen. «
    »Er ist nicht gestorben«, erwiderte Sammy Tigertail.
    »Immer irgend ’ne Ausrede parat. «
    »Geh jetzt weg. Ich bin müde.«
    »Leck mich und gute Nacht« ,sagte Wilson.
    Diese Traumbesuche endeten immer gleich – die toten weißen Männer stapften schwerfällig davon, während ihre Anker hinter ihnen herschleiften, zwei mürrische Gestalten, die in blauem Dunst zerflossen. Danach pflegte Sammy Tigertail aufzuwachen, still dazuliegen und die Sterne zu betrachten. Sein Onkel sagte, jedes Mal, wenn die Seele eines Seminolen in die Ewigkeit einging, leuchte die Milchstraße auf, um den Weg in die Geisterwelt zu erhellen. In manchen kristallklaren Nächten machte Sammy Tigertail sich Sorgen, der Schöpfer des Atems könnte vielleicht, wenn seine Zeit gekommen wäre, mit Missfallen auf seine weiße Kindheit als Chad McQueen blicken.
    Das Auftauchen des betagten Weißkopfseeadlers hielt er für ein mächtiges Zeichen, und während die Tage vergingen, blieb der Vogel in der Nähe seines Lagers. Manchmal warf der alte Raubvogel eine Feder ab, die der Indianer aufhob und an einem selbstgemachten Turban befestigte, ein Turban der Art, wie ihn seine Vorfahren vom Wind Clan getragen hatten. Jeden Morgen kroch er unter dem ausgefransten Palmenbaldachin
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