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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist
Autoren: Friedrich Ani
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drei Euro zehn«, sagte Holder. »Die spar ich mir, da weiß ich was Besseres.«
    »Die lassen dich auch rein, wenn du nichts zahlst«, sagte Martin.
    »Ich bettel nicht«, sagte Holder.
    »Und heut Nacht hast du in einem aufgebrochenen Auto übernachtet?«, sagte ich.
    Holder zog die Pudelmütze tief in die Stirn, breitete die Ellbogen auf dem Tisch aus, sodass ich, der direkt neben ihm saß, noch näher an den Rand rücken musste, krümmte den Rücken und brachte den Kopf nicht mehr hoch. Um uns hallten die Stimmen der Männer, manche redeten laut aufeinander ein, einige hatten Mühe beim Sprechen und ihre Zuhörer mussten sich zu ihnen hinbeugen, andere schneuzten sich und husteten. Niemand rauchte. Unter den armen Rittern der Tafelrunde befanden sich nur drei Frauen, alle etwa im gleichen Alter zwischen fünfzig und sechzig, alle drei mit Fellmützen, alle drei allein, getrennt voneinander, und die Männer sprachen nur zögernd mit ihnen, und wenn sie nicht angesprochen wurden, aßen die Frauen schweigend und langsam weiter.
    »Wir suchen Aladin«, sagte ich. »Die Autoaufbrüche gehen uns nichts an. Hatte Aladin bestimmte Straßen, bestimmte Viertel, wo er seine Autos knackte?«
    Holder redete nicht mehr mit uns.
    »Weißt du, was komisch ist?«, sagte ich und sah ihn von der Seite an. Er pulte sich Krümel aus den Zähnen.
    »Anscheinend hat Aladin damit gerechnet, dass sein Bruder die letzte Runde erreicht, sonst hätte er dich und deine Freundin nicht zum Konzert eingeladen. Das Konzert ist der Abschluss eines Wettbewerbs, hast du das gewusst?«
    Er schraubte seinen Kopf herum. »Bin ich dein Beichtvater? Da hinten ist die Tür, da gehts zur Beichte.« Er schraubte seinen Kopf wieder nach vorn. Ich sagte:
    »Ich kenne seinen Bruder, er schenkt dir zwei Freikarten, das weiß ich. Du darfst das Konzert auf keinen Fall versäumen, für dich als Gitarrenexperte wird das ein Erlebnis. Ich kann das beurteilen, ich habe ihn schon spielen hören.«
    »Ich bin kein Gitarrenexperte«, sagte Holder vor sich hin.
    »Wann hast du Aladin zum letzten Mal gesehen, Holder. Das ist sehr wichtig für uns.«
    »Keine Ahnung.«
    »Warst du an Dreikönig am Jakobsplatz?«
    »Ich führ kein Tagebuch.«
    »Erinnere dich bitte«, sagte ich.
    »Letzte Chance auf Suppe!«, rief Lisl Schäfer durch den Raum.
    Sofort erhoben sich mehrere Männer, den weißen Teller in beiden Händen, und bildeten wie antrainiert eine Schlange.
    »Sein Bruder macht sich große Sorgen, Holder«, sagte ich.
    »Hilf uns!«, sagte Martin, der Holder gegenüber saß und ungeduldig mit einer Streichholzschachtel spielte.
    »Als ich mit ihm unterwegs war«, sagte Holder, machte eine Pause und drehte mir halb den Kopf zu, »das war drüben am Park, an der Straße, wo die Parkplätze sind, und hinten, wo die Schule ist. Da sind keine Häuser direkt daneben, da steht nicht dauernd jemand am Fenster und macht den Blockwart. Da waren wir, und das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hab.«
    »Wann war das?«, fragte ich.
    »Vor einem Monat ungefähr«, sagte er und warf einen Blick zu den Männern vor Lisls Suppentopf.
    »Und danach?«, sagte Martin.
    »Ich will jetzt noch was essen«, sagte Holder, stand auf und nahm wie die anderen den Teller in beide Hände.
    »Und sonst weiß ich nichts. Ich war dann nicht mehr in der Gegend, ich war mit meiner Freundin unterwegs. Woanders.«
    »Aber er hat versprochen, dir die Konzertkarten zu bringen«, sagte ich.
    »Hörst du nicht zu? Die Senta hat heut Geburtstag! Und wo sind die Karten?«
    »Weißt du, wo das Konzert stattfindet?«, sagte ich.
    »Im ›Substanz‹!«, sagte Holder laut.
    »Wir beide sind auch dort, komm mit deiner Freundin hin, ihr braucht keine Eintrittskarten.«
    »Aha«, sagte Holder. »Polizeiliche Autorität.«
    »Komm einfach hin«, sagte ich.
    »Volvos«, sagte er, stieg über die Bank und stützte sich auf dem Rücken des Mannes neben ihm ab.
    »Bitte?«, sagte ich.
    »Volvos waren seine Lieblingshotels.«
    Auf der anderen Seite der Karl-Theodor-Straße begann der Luitpoldpark, dessen Südseite Parkplätze säumten und an dessen Ostseite die Borschtallee vorbeiführte, in der ebenfalls Fahrzeuge parkten. Wir gingen von einem Auto zum anderen. Über uns schrien Krähen, die sich auf den grauen Ästen der Linden niederließen, und in der Ferne sprang ein Dobermann durch den schmierigen Schnee. Auf manchen Autos war der Schnee noch immer gefroren, und die Fenster waren vereist. Am Gymnasium kehrten
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