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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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hin, dass Sie das Recht haben, die Aussage zu verweigern. Ich finde zwar nicht, dass Sie das tun sollten, aber…«
    »Ich auch nicht«, sagte ich.
    Vester nickte, setzte an, etwas zu sagen, und zögerte.
    Das Sirren der Neonröhre an der Decke krönte die Stille.
    »Erzählen Sie jetzt!«, sagte Vester.
    Ich schwieg. Ich fror. Mein Herz schlug unterirdisch.
    Sein Nicken ging über in Kopfschütteln und endete abrupt.
    »Das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben?«, fragte er.
    »Das ist Ihre Aussage? Und Sie würden dabei bleiben, wenn es zu einer offiziellen Vernehmung und im schlimmsten Fall zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde käme?«
    »Ja«, sagte ich. Dann stand ich auf, ging zur Wand, lehnte mich dagegen und verschränkte die Arme. Ich versuchte, meine innerliche Erstarrung zu überlisten, das Sprechen hatte mir dabei geholfen. Aber als ich die Wand mit dem Rücken berührte, hatte ich vergessen, was ich gesagt hatte.
    »Bitte setzen Sie sich wieder!«, sagte Vester. Ich sagte: »Ich stehe lieber.«
    »Ich bitte Sie«, sagte Vester. Ich bewegte mich nicht.
    Vesters Daumen zuckte. »Demnach wollen Sie, dass wir das Kontaktgespräch beenden«, sagte der Staatsanwalt.
    »Sie können mich weiter befragen«, sagte ich.
    »Sinnlos«, sagte er, nahm die Aktenmappe vom Stuhl und ging zur Tür. »Wir machen fünfzehn Minuten Pause, dann beginnen wir mit der informatorischen Befragung. Ich bitte Sie, das Dezernatsgebäude nicht zu verlassen.« Ich blieb an der Wand stehen, bis Sonja Feyerabend in der offenen Tür auftauchte.
    »Traust du dich nicht herein?«, sagte ich.
    »Was ist passiert?«, sagte sie.
    Sie trug einen grauen Rollkragenpullover aus Cashmere und Bluejeans. Ihre halblangen braunen Haare, die sie frisch gewaschen hatte, glänzten fast im Neonlicht, und das Leuchten ihrer Augen schien die trostlose Entfernung zwischen uns zu begrünen. Ich wollte auf sie zugehen und schaffte es nicht.
    Sie blickte über die Schulter in den Flur.
    »Der Staatsanwalt behauptet, du kooperierst nicht«, sagte sie.
    »Nein«, sagte ich.
    »Soll ich dir einen Kaffee bringen?«
    »Nein.«
    Sie machte einen Schritt ins Zimmer, als hinter ihr eine Stimme ertönte.
    »Entschuldigen Sie!«
    Sonja hielt inne und drehte sich um. Gefolgt von Kriminaloberrat Karl Funkel, dem Leiter des Dezernats 11, und Hauptkommissar Volker Thon, meinem direkten Vorgesetzten, kam Michael Vester wieder herein.
    »Ich muss leider darauf bestehen, dass Sie den Raum verlassen, Frau Feyerabend«, sagte der Staatsanwalt.
    Hinter den Männern tauchte Erika Haberl auf, die Sekretärin aus dem K 114, der Vermisstenstelle, mit einer Kunststofftasche in der Hand. Ich wusste, was darin war.
    »Ich möchte nicht, dass Sie an der Vernehmung teilnehmen«, sagte Vester zu Sonja. »Sie werden das verstehen.«
    Sonja warf mir einen Blick zu, den zu erwidern mir nicht gelang, obwohl meine Augen so grün waren wie die ihren.
    »Bitte setzen Sie sich dorthin!« Vester meinte Erika Haberl und zeigte auf den Stuhl neben dem Tisch. Sie setzte sich, packte den Laptop aus, schloss das Kabel an und startete den Computer.
    Nur in den seltensten Fällen benutzten wir bei Vernehmungen Tonbandgeräte, entweder wir schrieben selbst mit – was mein Freund und Kollege Martin Heuer und ich meistens taten – oder wir fertigten hinterher ein Protokoll an. Die schnellste Methode war, eine Schreibkraft hinzuzuziehen, und Erika Haberl galt als eine der zuverlässigsten Kräfte auf diesem Gebiet, sie arbeitete konzentriert und ausdauernd, unterdrückte jegliches Mienenspiel, so krude oder fürchterlich die Aussagen des Verdächtigen auch sein mochten, und formulierte fehlerhafte Ausdrücke selbstständig und korrekt um.
    »Bitte setzen Sie sich an den Tisch!«, sagte der Staatsanwalt.
    »Ich stehe lieber«, sagte ich. Es waren nur noch drei Stühle vorhanden.
    »Das geht in Ordnung«, sagte Funkel. Er zog einen Stuhl vom Tisch weg und setzte sich in die Nähe der Tür, die beiden anderen Männer nahmen am Tisch Platz und wandten sich mir zu.
    Neben den Laptop hatte Erika Haberl ein Päckchen Papiertaschentücher, einen unlinierten Schreibblock und einen Bleistift gelegt. Manchmal, das kannte ich aus meiner Erfahrung mit ihr, notierte sie Wörter, die sie nicht verstand, manchmal auch Dinge, die sie nach Dienstschluss unbedingt einkaufen musste.
    »Fertig«, sagte sie, nachdem sie das Datum und den Ort der Vernehmung hingeschrieben hatte.
    »Herr Süden«, sagte Vester. »Möchten Sie nach
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