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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben
Autoren: Friedrich Ani
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auf verdunkelter Bühne. Vielleicht hatte jemand die Scheinwerfer mutwillig zerstört. Vielleicht war nicht mehr genügend Strom vorhanden. Vielleicht gehörte die Dunkelheit zum neuen, entscheidenden Akt. Die Akteure aber hatten sich nicht in Luft aufgelöst, sie waren bloß unsichtbar geworden für die Augen derer, die sich selbstsicher in ihrem Schauen eingerichtet hatten und auf ihren zementierten Erwartungen hockten wie der Pavianpascha auf seinem Felsen.
    Manche Vermissten irrten durch die von ihnen selbst entworfenen, in schwarzes Licht getauchten Kulissen und wussten nicht mehr ein noch aus. Dabei waren sie überzeugt gewesen, durch den Ausbruch aus der ihnen vorgeschriebenen Rolle die Gaffer am Rand ihrer Lebensbühne ein für alle Mal verscheucht zu haben. Dann wartete Süden auf seinem Sperrsitz einfach ab. Wenn der Untergetauchte meinte, ganz für sich zu sein und ein Streichholz anzündete, stand Süden auf. Und er blieb so lange reglos stehen, bis der andere das Streichholz fallen ließ und aus seinem schwarzen Schweigen heraus zu sprechen begann, in Sätzen mit unsoufflierter Stimme.
    Das Weinen eines Jungen mischte sich mit dem Klingeln des Handys, das in Südens Ohren nach wie vor aufdringlich klang. Er sah die Nummer auf dem Display und zögerte einen Moment.
    »Ja«, sagte er.
    »Servus, wo bist du?«
    »In der Nähe des Südpols, irgendwo in Afrika.«
    »Du bist im Zoo«, sagte Birgit Hesse. »Glaubst du, Ilka taucht noch einmal auf?«
    »Ich weiß es nicht.« Er schaute dem Jungen zu, der aufgehört hatte zu weinen und gegen die Scheibe trommelte, um einen Eselspinguin zu begrüßen.
    »Wir haben die Adresse von Bertold Zeisig gefunden«, sagte die Kommissarin. »Er ist in Salzburg gemeldet, Strubergasse. Die Kollegen von der Gendarmerie waren dort, haben aber niemanden angetroffen. Eine Nachbarin meinte, Zeisig sei wohl wieder auf Tournee in Deutschland, wie so oft. Er halte sich sehr selten in seiner Wohnung auf. Überhaupt sei er ein sehr zurückhaltender Mann.«
    »Du hast auf eigene Faust recherchiert«, sagte Süden.
    »Ich hab mich von dir inspirieren lassen.«
    »Hast du zu seinen Eltern oder Verwandten Kontakt aufgenommen?«
    »Eltern wär schwierig, die sind beide vor sechs beziehungsweise acht Jahren verstorben. Zeisig hat einen Bruder, der angeblich in Amerika lebt, sagt die Nachbarin. Keine Adresse bisher. Die Miete bezahlt Zeisig regelmäßig, keine Eintragung im österreichischen Strafregister. Ich hab dich hauptsächlich angerufen, weil ich einen Rat von dir wollte.«
    »Und nebensächlich?«
    »Bitte?«
    »Welchen Rat?«
    »Mach dir nicht zu viele Gedanken«, sagte Birgit Hesse. »Wir haben was ausprobiert, und es hat ziemlich gut geklappt. Bei Gelegenheit können wir’s noch mal probieren, was ich schön fände. Aber ein Vertrag ist das Ganze nicht.«
    »Interessante Formulierungen«, sagte Süden. »Steht dein Chef neben dir?«
    »Nein,
ich
steh wahrscheinlich etwas neben mir.«
    »Etwas ist besser als total«, sagte Süden.
    »Hm«, machte die Kommissarin. Im selben Moment wieherte hinter Süden wieder eines der Zebras. »Ich wollte dich fragen, ob ich die Kollegen in Salzburg in die Wohnung reinschicken soll. Wir haben keine richterliche Befugnis, keinen Haftbefehl, nichts. Der Mann ist ein unbescholtener Bürger, abgesehen davon, dass er dich niedergeschlagen hat. Wenn du Anzeige erstatten würdest, könnten wir offiziell nach ihm fahnden und hätten einen Grund, seine Tür aufzubrechen. Was würdest du tun?«
    »Ich würde versuchen, den Bruder in Amerika zu erreichen und sämtliche Telefonanbieter in Deutschland und Österreich anrufen und hoffen, sie kooperieren auch ohne richterliche Anordnung.«
    »Das werden sie nicht tun.«
    »Warte bis morgen«, sagte Süden. »Wenn wir nichts von Ilka Senner hören, sollen deine Kollegen die Wohnung aufbrechen. Ich erstatte dann gleichzeitig Anzeige wegen schwerer Körperverletzung.«
    »Einverstanden«, sagte Birgit Hesse.
    Sie schwiegen beide am Telefon.
    Es war kurz nach siebzehn Uhr. In einer Stunde wurde der Tierpark geschlossen. Vor dem Pinguinhaus standen nur noch vereinzelt Besucher. Ein kühler Wind wehte. Weit und breit keine Tierlaute mehr.
    Süden stand auf und schaute sich um, das Handy und das Schweigen am Ohr. Aus Richtung Biergarten beim Abenteuerspielplatz kam ein älteres Paar, jeder mit einem kleinen roten Rucksack, Hand in Hand, ins Gespräch vertieft, mit munteren Stimmen. In der entgegengesetzten Richtung,
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