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Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Titel: Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
Autoren: AMANDA MCCABE
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PROLOG

    Auf Zehenspitzen schlich Clio Chase durch einen schmalen Korridor im Akropolis House, dem labyrinthischen Londoner Domizil des Duke of Averton, und spähte über ihre Schulter. Niemand folgte ihr. Wahrscheinlich wurde ihre Abwesenheit gar nicht bemerkt, weil in dem Saal, wo der griechische Maskenball stattfand, ein so dichtes Gedränge herrschte.
    Perfekt.
    In diesem Flur, fern von der Musik und dem Stimmengewirr, war es fast so still wie in einer Gruft. Nur wenige Gaslampen erhellten mit ihrem flackernden Licht die dunkel getäfelten Wände und die golden gerahmten Gemälde.
    Clio blieb stehen und schlüpfte aus ihren grünen Tanzschuhen. In Strümpfen eilte sie zum Ende des Korridors, wo eine gewundene Treppe nach oben führte. Sie raffte die Röcke ihres grüngoldenen Medusa-Kostüms und stieg hinauf. An diesem Abend hatte der Duke sich nur vage über den Standort der Statue geäußert. So geheimnistuerisch wie Seine Gnaden waren die Dienstboten nicht, und sie hatte einem Lakaien entlockt, wo sich Artemis befand, die Alabastergöttin.
    Am Treppenabsatz erreichte sie eine Galerie, die fast die ganze Breite des Hauses einnahm. Die Fenster gingen zum vorderen Garten und zur Straße hinaus. Um verspätete Gäste einzulassen, stand das Portal immer noch offen.
    Obwohl es in der Galerie mehr Lampen als im Flur gab, brannten die meisten nicht. Zweifellos würden sie erst nach dem Souper aufflammen, um die grandiose Enthüllung der Statue zu illuminieren. Jetzt fiel nur schwaches Licht auf vereinzelte Kunstgegenstände.
    Während Clio durch die Galerie wanderte, hielt sie den Atem an und ließ ihren Blick immer wieder von einer Seite zur anderen schweifen. Ihr Vater und seine Freunde waren passionierte Sammler und liebten es, ihre Schätze zu zeigen. Inmitten kostbarer Altertümer war sie aufgewachsen. Aber was sie jetzt betrachtete, stellte ein Raritätenkabinett dar, wie sie es nie zuvor gesehen hatte.
    Beinahe glich die Galerie einem Lager, vollgestopft mit Kunstwerken. Steinerne Jünglinge starrten sie mit leeren Augen an. Zwischen Bronzekriegern und Marmorgöttern standen Kisten voller goldener etruskischer Juwelen, Skarabäengemmen aus Lapislazuli und Parfümfläschchen. Zahlreiche Regale waren mit Vasen, Amphoren und anderen Gefäßen gefüllt. Und alles bildete ein seltsames Durcheinander – nur um die Eitelkeit eines einzigen Mannes und seine Sammelleidenschaft zu befriedigen? Oder stimmte es, was er behauptet hatte? Hortete er diese Gegenstände, weil es mit seiner Arbeit für die Antiquities Society zusammenhing?
    Als Clio den Kopf schüttelte, bebten die Satinschlangen auf ihrer Krone. An ihn durfte sie jetzt nicht denken, denn sie musste eine Aufgabe erledigen.
    Am Ende der Galerie, in einem Lichtkreis aus Kerzenschein, erhob sich ein Gegenstand, von einem schwarzen Seidentuch verhüllt. Nur ein kleiner Teil des korallenroten Marmorsockels war zu sehen. Vorsichtig ging Clio darauf zu. Jeden Moment erwartete sie, in eine Falle zu geraten – einen Wächter zu alarmieren. Aber alles blieb still, und sie hörte nichts außer dem Wind, der vor den Fenstern in den Bäumen rauschte. Ermutigt hob sie das Tuch und schaute darunter.
    „Oh“, seufzte sie. Tatsächlich, die Alabastergöttin – Artemis in all ihrem Glanz …
    Die Statue war nicht groß. Von den meisten Figuren in der Galerie wurde sie überragt. Doch sie sah so schön und anmutig aus, dass Clio verstand, warum sie so viel Aufsehen erregte, warum die Damen „Artemis“-Frisuren und „Artemis“-Sandalen trugen.
    Und warum der Duke sie versteckte.
    Aus Alabaster gemeißelt, weiß wie frisch gefallener Schnee, hob sie ihren Bogen, auf dem ein Pfeil lag. Die gefältelte Tunika floss über die Konturen ihres schlanken Körpers, als würde ein Windstoß den Stoff bewegen, und reichte bis zur Mitte kraftvoller Beine, die den Anschein erweckten, die Göttin würde jeden Augenblick dahinstürmen. In dieser Saison kopierten alle Damen die mit Bändern verschnürten Sandalen. Daran haftete immer noch ein bisschen Blattgold, ebenso am Band, das Artemis’ lockiges Haar aus der Stirn hielt, verziert mit einem Halbmond, der die Göttin des Mondes kennzeichnete. Ihr Blick richtete sich auf die Beute.
    Fasziniert starrte Clio die Statue an und stellte sich den Tempel von Delos vor, wo die Göttin einst residiert hatte und von ihren Bewunderern verehrt worden war. „Wie schön du bist“, flüsterte sie. „Und so traurig.“
    Was das betraf, ähnelte ihr
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