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Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Titel: Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
Autoren: AMANDA MCCABE
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gehofft.
    Seit der Kindheit stellte sie sich das Leben in jener fernen Vergangenheit vor. In ihrer Familie hatte sie der Geschichte des klassischen Altertums kaum entrinnen können. Ihr Großvater hatte eine weltweit anerkannte Abhandlung über Archäologie geschrieben, der Vater diese wissenschaftlichen Neigungen geerbt. Und ihre Mutter war die Tochter eines französischen Comtes gewesen, der eine berühmte hellenistische Silbersammlung besessen hatte. Die Eltern nannten ihre Töchter nach den Musen. Immer wieder hörten die Mädchen all die Geschichten über alte Götter, Schlachten und Liebespaare.
    Für Clio war das Altertum so real wie das alltägliche Leben in den Londoner Straßen – sogar noch vitaler und wahrhaftiger. Jene Geschichten nahm sie viel ernster als ihre Schwestern, was sie des Öfteren in Schwierigkeiten brachte – bis die Liliendiebin ein schreckliches Ende fand.
    „Wie konntest du nur?“, hatte Calliope entsetzt gefragt, als sich herausstellte, dass Clio die Liliendiebin war.
    Eindringlich hatte sie beteuert, jene Taten nur begangen zu haben, um kostbare Altertümer vor unrechtmäßigen Besitzern zu retten. Gemeinsam mit ihrem Freund Marco, der diese Kunstwerke nach Italien zurückgebracht hatte …
    Niemals hatte sie ihre Schwester verletzen wollen. Von ganzem Herzen liebte sie ihre temperamentvolle, exzentrische Familie. Doch sie fühlte sich oft allein, sogar inmitten ihrer Angehörigen.
    Nach Cals Hochzeit hatte sie sich mit der Schwester versöhnt. Und jetzt, in Sizilien, erholte sie sich allmählich von jenen beklemmenden Ereignissen.
    Natürlich konnte sie nicht alles vergessen. Nachts, wenn sie ins Bett sank, von ihrer Arbeit erschöpft, wurde sie von qualvollen Träumen heimgesucht, spürte wieder die Lippen des Dukes of Averton auf ihren, seinen warmen Atem, der ihre Haut streifte, bis sie ihn mit aller Kraft von sich stieß, seinen Blick, der in die Tiefen ihrer Seele zu dringen schien …
    Über ihrem Kopf krachte ein Donnerschlag, so laut wie ein Kanonenschuss, und Clio zuckte verwirrt zusammen. In Erinnerungen versunken, hatte sie beinahe vergessen, wo sie sich befand.
    Sie schaute zur Teerplane hinauf, die sie vor dem heftigen Regen schützte, und wartete, bis sich das Donnergrollen entfernte. Dann setzte sie ihre Brille auf, ergriff den kleinen Spaten und begann in ihrer neuesten Ausgrabung zu arbeiten, nahe den Resten der steinernen Treppe, die einst zum Erdgeschoss des Hauses hinaufgeführt hatte.
    Nach einer Weile bemerkte sie etwas Seltsames, eine kleine Grube, die ihr zuvor nicht aufgefallen war. Hatte jemand anderer an dieser Stelle gegraben? Sie schob ihre Brille zum Haaransatz hinauf und beugte sich hinab, um ihre Entdeckung genauer zu betrachten. Und da hörte sie ein Geräusch, das ihr den Atem nahm.
    Hufschläge.
    Sofort beschleunigte sich Clios Puls. Über ihren Rücken rann ein Schauer. So war ihr nicht mehr zumute gewesen, seit die Liliendiebin zu existieren aufgehört hatte.
    Wenn sie in ihrer Ausgrabungsstätte arbeitete, kam normalerweise niemand hierher. Zu abgeschieden lag das alte Bauerngehöft, und die Touristen fanden es unbedeutend. Natürlich war sie vor Banditen und Dieben gewarnt worden. Doch sie hatte noch nie einen gesehen.
    Sorgsam legte sie den Spaten beiseite und tastete unter ihre Röcke. Oberhalb eines Stiefels war eine Scheide befestigt, aus der sie ihren Dolch zog – keine kunstvoll verzierte Antiquität, sondern ein scharf geschliffenes, robustes Messer. Das hatte ihr der Ehemann der sizilianischen Köchin gegeben, die für die Familie Chase arbeitete. Die beiden meinten, auf ihren einsamen Wanderungen würde sie eine Waffe brauchen. Anfangs waren die Dienstboten entsetzt gewesen, weil Clio sich ganz allein in die Berge wagte. Sizilianische Mädchen aus gehobenen Kreisen wurden noch strenger bewacht als Engländerinnen. Aber Clio hatte auf ihrer Absicht bestanden, und so resignierte das Ehepaar.
    Sie wusste, wie man einen Dolch benutzte. Hoffentlich würde sie ihre Fähigkeiten nicht beweisen müssen.
    Die Hufschläge näherten sich. Vermutlich würde ein Tourist an der Ruine des Bauernhauses vorbeireiten, auf dem Weg zu bedeutsameren Sehenswürdigkeiten. Trotzdem – sie musste vorsichtig sein. Lautlos schlich sie einige der Steinstufen hinauf, stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte durch eine Ritze am Rand der Teerplane.
    Inzwischen regnete es nicht mehr. Auf den Blumen und den Blättern der Bäume glitzerten Wassertropfen. Der
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