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Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Titel: Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
Autoren: AMANDA MCCABE
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ihrer Party auftreten kann. Begleitest du mich, Clio?“
    Besorgt schaute Clio aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich inzwischen noch verdunkelt. „Ja, wenn du heute Nachmittag hingehst“, antwortete sie und trank hastig ihre Teetasse leer. „Am Vormittag muss ich etwas erledigen. Entschuldigst du mich, Vater?“
    Sir Walter las eine weitere Einladung und nickte geistesabwesend.
    Während Clio aus dem Frühstücksraum eilte, hörte sie ihre Schwester Cory quengeln: „Darf ich auch auf Lady Rivertons Party gehen? Bitte! Seit wir hier angekommen sind, war ich auf keiner einzigen Party. Ich bin fast fünfzehn.“
    „Erst im Oktober“, betonte Thalia, „und du hast noch nicht debütiert. Sei froh! Da du keine gesellschaftlichen Pflichten erfüllen musst, kannst du machen, was du willst.“
    An der Haustür vertauschte Clio ihre Schuhe mit festen Stiefeln. Dann ging sie an der Kathedrale vorbei zum Hauptplatz, wo die Händler gerade ihre Marktstände öffneten. Aus den geöffneten Türen der Bäckerei und der Konditorei wehten verlockende Düfte. Lachende, schwatzende Dienstmädchen holten Wasser am Brunnen. Das wuchtige geschnitzte Kirchentor war geschlossen, solange die Morgenmesse stattfand.
    Noch war die Luft kühl. Doch es würde nicht lange dauern, bis sie sich erwärmte und die Gerüche des Markts intensivierte – nach salzigem Fisch, würzigen Kräutern, süßem Kuchen. Die Stadt würde zum gewohnten Leben erwachen, englische Touristen würden die Tempel besichtigen. Hier kümmerte man sich nicht um die Weltpolitik. König Ferdinand, der Sizilien regierte, lebte mit seiner jungen Gemahlin im fernen Neapel. Und der Zusammenbruch des sizilianischen Feudalsystems nach dem Rückzug der britischen Truppen spielte in Santa Lucia keine große Rolle. Noch nicht. Vorerst ging das Leben seinen üblichen Gang.
    Marie, die Bäckersfrau, beugte sich aus dem Fenster und reichte Clio ein frisches Brötchen. „Heute sollten Sie daheimbleiben, Signorina. Bald wird es regnen.“
    Lächelnd bedankte sich Clio. „Das geht nicht, ich habe zu tun.“
    Wenig später eilte sie an Lady Rivertons stattlichem Palazzo vorbei. Die Fensterläden waren noch geschlossen. In absehbarer Zeit würden sie sich öffnen, und die Hausherrin würde alles beobachten, was in der Stadt geschah.
    Clio besuchte die Partys der jungen Witwe nur notgedrungen, weil sie sich lieber ihren Studien widmete, statt höfliche Konversation zu machen oder dem Klavierspiel unbegabter Mädchen zu lauschen. Aber einige Gäste interessierten sich für Altertümer, und so kam es manchmal zu interessanten Diskussionen.
    Am Stadtrand erhob sich der Palazzo der Baronin Picini. Bei der Ankunft der Familie Chase in Santa Lucia hatte er leer gestanden, denn die Besitzerin hielt sich in Neapel auf, am Hof der neuen Königin. Aber an diesem Tag war das Hoftor geöffnet, und Clio beobachtete zahlreiche Dienstboten, die Truhen und Möbel ins Haus schleppten.
    Noch mehr Gäste für Lady Riverton, dachte sie. Wer mochte in dem muffigen alten Gemäuer wohnen? Doch sie hatte etwas Besseres zu tun, als ihre Neugier zu stillen, und so folgte sie dem steilen Pfad ins Tal hinunter.
    Während die ersten Regentropfen herabfielen, erreichte sie die Ruine des Bauernhauses. Das Kellergeschoss roch nach feuchter Erde, als sie hinabstieg. Hier hatte sie Tonkrüge und –amphoren ausgegraben. In diesen Gefäßen waren vor all den Jahrhunderten Wein und Öl verwahrt worden. Clio schüttelte eine geteerte Plane aus, spannte sie über die Kelleröffnung und band sie an Mauervorsprüngen fest.
    Nun würden sich ihre Ausgrabungsschächte nicht mit Regenwasser füllen. Allzu viel hatte sie bisher nicht gefunden, nur die Krüge und die Amphoren, einen kleinen Terrakotta-Altar und einen verbeulten Kelch. Doch sie hoffte, Münzen zu entdecken, edle Gefäße, Geschirr, vielleicht sogar Schmuckstücke. Solche Schätze wollte sie ihrem Vater und seinen Freunden zeigen und ihnen beweisen, sie hätte ihre Zeit keineswegs in einer unbedeutenden Ruine verschwendet.
    Jetzt begann es stärker zu regnen. Clio setzte sich auf eine Decke aus Segeltuch und lauschte den Tropfen, die über ihrem Kopf auf die Teerplane prasselten. Ein seltsam tröstliches Geräusch, dachte sie und malte sich aus, wie die Felder und Obstgärten bewässert wurden. Gewiss hatten die Menschen, die in alter Zeit hier lebten, der gütigen Demeter, der Göttin des Erdsegens, für Regengüsse mit Opfergaben gedankt und auf eine reiche Ernte
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