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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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auf dem Gehsteig herumstehen musste, fügte er hinzu: »Ich bin freiwillig weg, nicht wegen ihr, sie hat sich das eingebildet. Sie hat gedacht, ich fang mit ihr was an. Sie hat mich bedrängt.«
    Wenn ich es im schlechten Licht richtig erkannte, dann gelang ihm jetzt ein Grinsen.
    »Sie hat gewusst, ich geh weg. Ich hab die beiden zusammen gesehen, im Bad, wie damals, die Frauen. Davon versteh ich nichts.«
    Er verstummte.
    »Mich interessiert dieses Paradies«, sagte ich. »Ich verreise nie, aber ich hab einen Kollegen, der sammelt Reiseprospekte, er hat schon ganze Schachteln davon voll. Wir sehen uns die Bilder an und lesen die Texte dazu, das ist alles. Indonesien. Da muss man aufpassen, dass man nicht entführt wird.«
    »Blödsinn!«, sagte Grauke. Er nahm die rechte Hand aus der Tasche. »Amanwana. So heißt das Dorf. Ist kein Dorf, ein Zeltlager. Weiße Strände, Wasserfälle, alles grün und tropisch. Himmelbetten, Bäder aus weißem Porzellan, da fehlts an nichts. Das pure Paradies. Und die Böden sind aus Teakholz, die Böden in den Zelten, das hat Stil da, großen Stil. Amanwana. Dschungel des Friedens heißt das. Aber für Elke hätte es das Paradies des Friedens sein sollen.«
    »Und für Miriam«, sagte ich.
    Er nahm auch die andere Hand aus der Hosentasche.
    »Miriam ist tot«, sagte er. »Sie hats nicht geschafft. Aber Elke hätts geschafft, ich hätt ihr das Geld gegeben, die zwanzig Mille hätten gereicht, Hinflug, vierzehn Tage Aufenthalt, Rückflug, da sind noch Spesen übrig. Sie wär hier raus gewesen. Vierzehn Tage sind nicht viel, aber… aber wenn Sie von so wo zurückkommen, da braucht Ihnen hier keiner mehr was erzählen von wegen Urlaub und Mallorca und Sylt und so was, mit dem Paradies kann keiner konkurrieren.«
    »Sie haben Elke das Geld geschenkt, damit sie an Stelle von Miriam die Reise machen kann«, sagte ich.
    »So ist es!«, sagte er. Dann wischte er sich über den Mund. Hinter ihm war ein Geräusch zu hören. Er drehte den Kopf. »Ich komm gleich!«, rief er.
    »Das ist ein wunderbares Geschenk«, sagte ich.
    »Scheiß auf das Wunder!«, sagte er laut. Ich schwieg. Er schaute mich an. Vielleicht wollte er jetzt zum ersten Mal seit unserer Begegnung, dass ich ihn etwas fragte. Aber ich fragte ihn nichts. Er schlug mit dem Knie seitwärts gegen den Türrahmen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Aus einem Fenster im zweiten Stock schaute ein alter Mann herunter. Er rauchte. Grauke hob den rechten Arm und stützte sich am Türstock ab.
    »Elke hat mich zur Bank gefahren«, sagte er. Er starrte mich an, und sein Blick wurde mit jedem Wort finsterer.
    »Zu diesem Gangster von Vocke. Ich hab mich bei dem extra angemeldet. Das Geld lag parat. Elke hat mir ihren Rucksack geliehen, in den hab ichs reingepackt. Der Vocke hat mich ausgefragt, aber ich hab ihm nichts gesagt. Gangster! Der erfährt nichts von mir. Ich bin wieder raus und noch ein Stück spazieren gegangen. Wenn mich jemand gesehen hätt, den ich kenn, wär ich einfach weitergegangen. Ich hab Lotte verboten, dass sie eine Vermisstenanzeige aufgibt, ich habs ihr verboten. Aber ihre Schwester hat sie natürlich rumgekriegt. Scheiß drauf! Ich hab mir gedacht, ich nehm die Straßenbahn, die fährt ja bis nach Schwabing durch. Und ich wollt mal wieder was von der Stadt sehen. Am Hohenzollernplatz bin ich ausgestiegen. War eine schöne Fahrt. So durch die eigene Stadt, hab ich lang nicht mehr gemacht, wahrscheinlich noch nie. Sonnenstraße, gibts jetzt Fahrradwege, wozu? Die Radler fahren da doch nicht drauf, oder was sagt die Polizei? Das ›Mövenpick‹… waren die Baldachine früher nicht rot? Angeblich haben sie dort ein gutes Eis. Ist nichts für mich. Barerstraße, das renovierte Lenbachpalais, macht Eindruck. Pinakothek. Der alte Mehr hat seine Wirtschaft immer noch, manches ist unvergänglich in dieser Stadt. Am Hohenzollernplatz bin ich ausgestiegen.«
    Er machte eine Pause. Nahm den Arm runter, blies Luft durch die geschlossenen Lippen, warf einen Blick auf den Schuh unten in der Tür und trat von der Schwelle auf den Bürgersteig.
    »Ich hab gedacht, ich setz mich auf eine Bank beim Brunnen und genieß die Sonne. Die kommt ja nicht von selber in meine Werkstatt, so verbiegen kann die sich nicht, die Sonne. Ich sitz also da und dann such ich auf einmal den Rucksack. Ich hab extra noch geübt, wie ich den am besten trag. Und in der Bank hat das nicht geklappt, ich wollt auch nicht, dass mir die Leute zuschauen.
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