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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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Beifahrersitz nach hinten schieben müssen.
    »Ich bin betrunken«, sagte sie.
    Ich sagte: »Ich bin eine Autoritätsperson, wir kommen schon durch.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Nein«, sagte ich.
    Sie schlug die Tür zu und schaltete den Motor ein. Ich schloss die Beifahrertür. Der Motor lief, aber sie fuhr nicht los.
    »Er hat mich versteckt, und ich hetz ihm die Polizei auf den Hals«, sagte sie. Aus Versehen drückte sie auf die Hupe.
    »Entschuldigung«, sagte sie. Dann fand sie endlich den ersten Gang.
    Vor dem Haus gegenüber einer Tiefgaragenausfahrt warteten Martin und Sonja im Wagen auf uns. Elke hatte zweihundert Meter entfernt in der Nähe eines Postamts geparkt.
    »Ihr könnt fahren«, sagte ich zu Martin. Sonja, die neben ihm saß, war gerade dabei, das letzte Stück Eiskonfekt aus der Schachtel zu nehmen.
    »Kosten?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Morgen will sie den Vertrag für die Wohnung in Milbertshofen unterschreiben«, sagte Martin.
    »Sie kriegen die Wohnung?«, sagte ich.
    Sie sagte: »Der Makler rief mich an, ich als Staatsbeamtin sei eine absolute Vertrauensperson, sagt er.«
    »Unbedingt«, sagte ich.
    »Was jetzt?«, rief Elke von der Haustür aus. Ich ging zu ihr. Sie wohnte im Erdgeschoß. Vor ihrer Wohnungstür drehte sie sich zu mir um.
    »Das ist schäbig, was ich tu.«
    Ich sagte: »Ich warte draußen auf der Straße. Sagen Sie ihm, dass ich da bin. Meine Kollegen sind weg. Ich werde ihn zu nichts überreden. Ich misch mich nicht in seine Zukunft ein.«
    Daraufhin verließ ich das Haus wieder. In der Straße gab es ein Restaurant, durch dessen geöffnete Fenster Stimmen und jüdische Musik zu hören waren.
    Seltsame Parallelen. Paula Trautwein ging früher anschaffen so wie Elke Schlosser heute, und beide spielten für Grauke eine entscheidende Rolle, beide hatten einen starken Einfluss auf die Wendungen in seinem Leben, und beiden sollte er, auf unterschiedlichste Art, zu einer Veränderung verhelfen, zu einem möglichen Glück. Paula, indem er sie aus ihren verkrusteten Beziehungen befreite, Elke, indem er ihr eine Reise in ein fernes Paradies finanzierte. Und er? Was blieb für ihn übrig? Ich schaute zur Haustür.
    Und da stand er. Breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen.
    Und er sah völlig anders aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte.
    Dem Foto nach zu urteilen, das uns seine Frau gegeben hatte, war er ebenso kleinwüchsig wie sie, schmächtig, vielleicht gekrümmt vom unermüdlichen Sitzen auf dem Schemel. Stattdessen war er relativ groß, kräftig, fast dick. Er hatte einen eckigen Kopf mit an den Seiten rasierten Haaren, eine fleischige Nase und hervorstechende schwarze Augen. Er trug ein kariertes Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, was mich an meinen Kollegen Weber erinnerte, dazu eine braune Cordhose und Sandalen.
    »Ich bleib hier stehen, dass das klar ist«, sagte er mit heiserer Stimme. Zwischen Tür und Türstock hatte er einen Schuh geklemmt.
    Was hätte er benutzt, wenn er Metzger gewesen wäre? Einen Knochen?
    »Guten Abend«, sagte ich.
    Wir standen uns gegenüber. Mit seiner massigen Statur füllte er den Türrahmen beinah aus.
    »Wir haben miteinander telefoniert«, sagte ich.
    »Was wollen Sie dann noch?«
    Ich versuchte ihn mir vorzustellen, wie er Tag um Tag auf seinem Schemel saß, den Kopf gesenkt, und mit geübten schnellen Handgriffen einen Schuh nach dem anderen reparierte, ungestört, eingebettet in die Bilderwelt von tausend Gedanken.
    »Dann richte ich Ihrer Frau aus, dass Sie gesund sind«, sagte ich.
    Sein Mund bewegte sich, ohne dass eine spezielle Mimik dabei entstand.
    »Ihre Schwägerin wartet darauf, dass Sie sie nachholen.«
    »Ist schon recht.«
    Vielleicht war seine Stimme nicht davon rau geworden, weil er so viel, sondern weil er so wenig sprach.
    »Danke, dass Sie mit mir reden«, sagte ich. Er schwieg.
    Ich wich einer Gruppe junger Leute aus, die aus der Richtung des Lokals kamen. Maximilian Grauke bewegte sich nicht.
    »Elke hat mir vom Paradies des Friedens erzählt, auf Moyo Island. Wo ist das?«
    »Indonesien«, sagte er.
    »Prinzessin Diana war dort«, sagte ich. Er sagte nichts.
    »Werden die zwanzigtausend dafür reichen?«, sagte ich. Wieder zuckte sein Mund.
    »Die offizielle Suche nach Ihnen ist beendet«, sagte ich.
    »Ihre Schwägerin hat darauf gedrungen, Sie polizeilich suchen zu lassen.«
    »Selber schuld«, sagte er. Dann, als wolle er mir einen Gefallen tun, damit ich nicht vollkommen sinnlos mitten in der Nacht
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