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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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Vergangenheit, die unauslöschlich war. Und die Lotte nicht gewillt war aufzugeben. Hinzuschmeißen. Klein zu machen.
    »Urlaub konnten wir uns nicht leisten, und das wollte mein Mann auch nicht. Und ich auch nicht. Wir waren gern hier, das war immer unser Zuhause hier…«
    »Aber Sie haben nicht ihn, sondern Ihre Stiefschwester geliebt«, sagte ich.
    Sie hob den Kopf. Dann ließ sie die Nähmaschine los. Und sofort schnappte ihre Hand wieder danach. Paula steckte die Hände in die Hosentaschen.
    »Ihr Mann war so geschockt davon, dass er sich umbringen wollte«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Lotte erschöpft, »ja, das war so. Und wissen Sie… wissen Sie, was das Schlimmste daran war… das Schlimmste?« Ihr Blick irrte durch die Werkstatt, huschte über mein Gesicht, blieb an der roten Ausputzmaschine mit den Polierrädern hängen. »Das war, dass… dass ich mich nicht geschämt hab vor ihm. Ich bin erschrocken und ich hab mich ertappt gefühlt, aber nicht… Aber geschämt hab ich mich nicht. Und das hat mich verfolgt. Deswegen hab ich nicht mehr schlafen können. Nicht weil… weil er sich… Davon wusste ich ja nichts, das hab ich ja erst später erfahren, als er zurückgekommen ist und mir alles gebeichtet hat… das mit dem Seil und der Pension und… Ich hab gedacht, ich muss mich schämen. Und dann ist mir klar geworden, dass ich ihn ja die ganzen Jahre schon belogen hab, schon seit der Hochzeit, und dass… Mein Mann hat ein Problem…«
    »Er ist impotent«, sagte ich.
    Sie starrte mich an. Ich lächelte und sie sah mich mit aufgerissenen Augen an. Ich hörte auf zu lächeln. Dann ging ich zu ihr und griff nach ihrem Handgelenk. Es war kalt.
    »Es hat ihm nichts ausgemacht, dass Sie nicht mit ihm geschlafen haben«, sagte ich.
    »Wir haben schon zusammen geschlafen«, sagte sie und verstummte. Ich drückte ihr Handgelenk. Und die Schlüssel klirrten. »Er war gut zu mir, er war zärtlich. Und ich war auch zärtlich zu ihm… Wir haben uns schon verstanden. Aber… als dann… damals an diesem Wintertag…«
    »Und diesmal«, sagte ich und ließ sie los. »Und diesmal hat er sie wieder überrascht, aber der Grund, weswegen er wegging, war ein anderer.«
    »Er wollte doch mit ihr weg!«, sagte Lotte, und ihre Stimme klang so laut wie die ihrer Schwester vorhin. »Sie hat ein Verhältnis mit ihm!«
    »Nein!«, sagte Paula. »Nein! Ich hab kein Verhältnis mit ihm…«
    »Ich halt das nicht aus«, sagte Lotte und atmete unruhig.
    »Du bist… du bist meine liebste… meine liebste… Du bist das…«
    Sie biss sich auf die Lippen. Hastig legte sie den Schlüsselbund auf die Nähmaschine und fuchtelte mit den Händen. »Ich lieb dich immer noch, und du… Sie hat das damals versprochen… Du hast es versprochen, das war dein Versprechen, du hast es mir bei unserer Liebe versprochen…«
    »Was, Frau Grauke?«, sagte ich. »Was hat sie versprochen?«
    Ich wich ihr aus, denn sie machte plötzlich einige Schritte, sie deutete sie an, sie hob die Beine, sie beugte ihren Oberkörper nach vorn, sie schwenkte die Arme. Alles auf engstem Raum, und so, als wäre der Raum noch enger als in Wirklichkeit. Als dürfe sie keine falsche Bewegung machen, weil sonst alles durcheinander geriet, wagte sie keinen Meter zu gehen. Wie ein trauriger unerklärlicher Tanz.
    »Ich hab versprochen, nie mehr als Nutte zu arbeiten«, sagte Paula Trautwein. Sie bewegte ein Bein und berührte eine der Bierflaschen unter dem Tisch. Klirrend fiel die Flasche um. Lotte zuckte zusammen.
    »Sie hat versprochen, wenn ich bei ihr bleibe, dann hört sie für immer damit auf, mit Männern zu schlafen und sich an Männer zu verkaufen. Ja.« Lotte holte Luft. Sah Paula an, unaufhörlich. Jetzt blickte Paula zu Boden. Unaufhörlich. Und weil sie nicht wieder aufschaute, gab sich Lotte einen Ruck und ging zu ihr. Blieb vor ihr stehen. Paula reagierte nicht. Dann hob Lotte die Hand und legte sie an Paulas Wange.
    »Du hast dein Versprechen gehalten, mein Engel«, sagte sie.
    Dann war es still. Die beiden Frauen standen dicht voreinander und sahen sich nicht an. Lotte nahm die Hand nicht von der Wange ihrer Geliebten.
    Draußen fuhren Autos vorüber. Durch die heruntergelassenen Rollos war nichts zu erkennen. Lottes rechte Hand ruhte auf Paulas Wange. Dann hörte ich einen Seufzer.
    Lotte holte aus und schlug Paula mit der linken Hand ins Gesicht. So heftig, dass der Strohhut zu Boden fiel und Paula aufschrie.
    Lotte setzte sich auf den Schemel, nahm eines
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