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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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eine Verabredung, die ich am Nachmittag organisiert hatte.
    »Sonja will mit mir kommen«, sagte Martin. Ich sagte: »Das würde Thon nicht gefallen.« Daraufhin hörte ich eine Weile nichts in der Leitung.
    »Sie besteht darauf«, sagte er dann.

14
    E twas war zwischen den beiden Schwestern passiert, und das Einzige, worin sie sich noch einig zu sein schienen, war: »Wir haben beschlossen, dass wir nicht mit Ihnen sprechen möchten.«
    Ich hatte Paula zu den Graukes bestellt, allerdings nicht in die Wohnung, sondern in die Werkstatt. Ich wollte dort mit den zwei Frauen sprechen, zum letzten Mal. Und wenn ich merken sollte, dass sie weiterhin nur auf Lügen aus waren, würde ich die Vernehmung beenden und diese Familie sich selber überlassen. Auch die Beschattung von Elke würde ich dann sofort abbrechen und noch in dieser Nacht den definitiven Vermisstenwiderruf ins System eingeben.
    Aber sie konnten nicht schweigen. In dem Moment, in dem ich das Licht in der Werkstatt anschaltete, und die beiden allem Widerwillen zum Trotz den vertrauten Raum betraten, vergaßen sie ihre geheimen Abmachungen.
    Wie Paula sich ausgedrückt hatte: Etwas zerbröselte innerlich.
    »Es ist nicht meine Schuld, dass Maximilian weggegangen ist«, sagte Lotte, die eine Hand auf der Nähmaschine, in der anderen den Schlüsselbund. »Meine Schuld war das nicht, diesmal nicht und damals auch nicht. Es ist unser beider Schuld. Und diesmal ist meine Schwester allein dran schuld, ganz allein.«
    Paula Trautwein lehnte am Tisch. Ihren Strohhut hatte sie nicht abgesetzt, diesmal trug sie eine graue Hose und ein eng geschnittenes Jackett, das sie zugeknöpft hatte. In der staubigen Werkstatt wirkte sie in diesem Aufzug kurios. Lotte dagegen hatte ein schlichtes dunkles Kostüm an, das sie älter wirken ließ, als sie war. Und sie machte einen müden, unterlegenen Eindruck. Es sah aus, als würde sie sich an die Nähmaschine klammern, um nicht den Halt zu verlieren. Vielleicht fühlte sie sich auch nur von der einzigen Maschine in dieser Werkstatt angezogen, die sie selbst bedienen konnte.
    »Tragen Sie eigentlich jeden Tag dasselbe Zeug?«, sagte Paula zu mir.
    Ich sagte: »Nein.«
    »Kommt mir aber so vor. Immer wenn ich Sie sehe, tragen Sie diese Lederhose mit diesen aufdringlichen Bändeln an der Seite, ein weißes Hemd und diese abgeschabte Lederjacke. Finden Sie das normal?«
    »Sie irren sich«, sagte ich.
    »Ich nicht! Außerdem haben Sie sich immer noch nicht rasiert! Haben Sie keine Freundin, die Sie da mal zurechtweist?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Kein Wunder! Welche Frau will schon einen Mann, der sich nie umzieht!«
    »Warum sind diesmal Sie allein daran schuld, dass Herr Grauke verschwunden ist?«, sagte ich.
    »Weil ich ihn hier rausholen wollte«, sagte sie laut. Lotte sah zu Boden.
    »Weil er die Nase voll hatte von diesem Loch hier. Von dieser Plackerei, von allem. Von allem!« Ihre Stimme klang gehässig, fast hämisch.
    »Du lügst!«, sagte Lotte. Sie warf ihrer Schwester einen Blick zu, den diese erwiderte. Und Lotte brauchte einige Sekunden, bis sie sich von diesem Blick befreite. Dann schaute sie zu mir. Ich stand vor der geschlossenen Tür zum Treppenhaus.
    »Sie lügt, Herr Süden. Er hat nicht… er hat seine Arbeit… er hat das…«
    »Langsam, Frau Grauke!«, sagte ich. »Ich bin da, um Ihnen zuzuhören. Lassen Sie sich Zeit!«
    »Ich will aber nicht!«, sagte sie und ich wusste nicht, was genau sie damit meinte. »Er wollte nicht weg, das ist… nein… Sie hat ihn… Sie hat ihm den Kopf verdreht, sie hat ihm das eingeredet. Er war nämlich glücklich hier, glücklich. Du hast ja keine Vorstellung, was wir… was ich mit ihm gesprochen hab, wenn er bei mir war, wenn wir allein waren…«
    Nur für einen Moment drehte sie den Kopf zu Paula, dann wandte sie sich sofort wieder an mich.
    »Obwohl die Geschäfte nicht mehr so gut liefen wie früher, trotzdem hat er seine Arbeit gern gemacht, heute gibts eben keine Pfennigabsätze mehr und solche Sachen, heute kaufen die Leute billige Schuhe und dann schmeißen sie sie weg und kaufen sich neue. Oder die jungen Leute, die haben Turnschuhe oder diese… diese hohen Schuhe, diese Plateausohlen, die gehen doch nie kaputt! Da verdient man nichts dran. Früher hatten die Leute Maßschuhe, da lohnte die Arbeit, da hatte man nicht zehn oder zwanzig Paar Schuhe wie heute, da hatte man wenig Schuhe und dafür gute…«
    Sie holte Luft. Sie sah sich um. Jeder Zentimeter eine
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