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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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fragte Sonja.
    Ich sagte: »Ganz sicher.«
    »Hypnotiseur!«, sagte Martin und trank seinen Verdauungsraki.
    »Wen hypnotisiert er?«, fragte sie.
    »Sich selbst.«
    »Ah ja«, sagte sie.
    Sie warf mir diesen grünen Seitenblick zu, den ich schon kannte, und winkte dem Kellner, damit er endlich ihren leeren Teller abräumte. Unser Geschirr hatte er längst mitgenommen. Wir hatten wieder zu schnell gegessen. Meine Form der Selbsthypnose führte nicht zu Bewegungslosigkeit und Willenlosigkeit, vielmehr versetzte ich mich in einen Zustand kreativer Sturheit.
    »Und woher wissen Sie das so genau?«, nahm Sonja den Faden wieder auf. Sie schwenkte ihr Bierglas, um einen Rest Schaum zu retten.
    »Ich stell es mir so vor«, sagte ich. Danach betrachteten wir das Licht der untergehenden Sonne, wie es sich an die Häuserwände schmiegte und in den Scheiben tummelte. Sonja und ich saßen nebeneinander, Martin uns gegenüber, die Sonne im Rücken, mehr brauchte er nicht.
    Den ganzen Nachmittag hatten wir im Büro verbracht, eine Reihe von Daten älterer Vermissungen ausgeweitet, Kollegen im Westend telefonisch geholfen, eine ausgerissene Griechin wieder zu finden, deren Fluchtpunkte wir kannten. Schließlich kam Andy Krust von seiner Recherche im Glockenbachviertel zurück, allerdings hatte er niemanden aufgetrieben, der die junge Frau im weißen Panda kannte. Auch im Haus der Graukes führten seine Fragen nur zu zwecklosen Gegenfragen. Trotzdem musste sie jemand schon einmal gesehen haben. Wo sonst außer in seiner unmittelbaren Umgebung sollte Grauke einer jungen Frau begegnet sein, die er auch noch in seinen Fluchtplan einweihte? In unserer Fünfzehn-Uhr-Sitzung musste ich auf ausdrücklichen Wunsch von Thon den Fall Grauke noch einmal in allen Einzelheiten darlegen. Ich bemühte mich, als zuständiger Sachbearbeiter so sachlich wie möglich zu bleiben.
    Nach Meinung der meisten Kollegen gab es keinen Grund, am Gesundheitszustand des Schuhmachers zu zweifeln, er hatte seine Frau aus freien Stücken verlassen, er hatte glaubhaft versichert, dass es ihm gut ging, und gebeten, ihn in Ruhe zu lassen. Eine Gefahr für Leib und Leben bestehe demnach nicht und somit auch kein polizeilicher Handlungsbedarf. So stand es dann auch im Protokoll.
    »Ich muss los«, sagte ich jetzt.
    Martin sagte: »Sonja und ich bleiben noch.«
    Sie nickte mit geschlossenen Augen. Ich machte einen Schritt zur Seite, um ihr den Blick auf die Sonne nicht zu verstellen.
    Vielleicht war es ja umgekehrt, vielleicht sonnte sich die Sonne in Sonjas Gesicht.
    Die Jahnstraße kreuzte die Ickstattstraße, ich hatte es nicht weit bis zum »Ragazza«. Als ich den Frauentreff betrat, unterhielt sich Sina Frank mit einer Frau in einem langen beigen Faltenrock und einer Jeansjacke. Im Gegensatz zu Sina hatte diese Frau eine Mähne, die schwarzen Haare fielen ihr auf die Schulter und sahen auf die Entfernung genauso strähnig aus wie meine.
    »Das ist der Typ«, sagte Sina und deutete auf mich. Die Frau mit der Jeansjacke drehte sich zu mir um. Auf den ersten Blick konnte ich die Ähnlichkeit nicht erkennen. Was vor allem daran lag, dass die Frau sofort wieder wegschaute und sich nach unten beugte, um eine Zigarettenpackung aus ihrem Jutebeutel zu holen. Doch je näher ich kam, desto mehr entsprach sie der Beschreibung des Neuperlacher Bauarbeiters und der Zeugin im Englischen Garten.
    Vor mir stand die einzige Person, die wusste, wo Maximilian Grauke sich aufhielt.
    Ich stellte mich vor. »Wir sind dabei, die Sache zu den Akten zu legen«, sagte ich. »Ich bereite gerade den Abschlussbericht vor.«
    »Was geht mich das an?«, sagte Elke. Ich sagte: »Sie kennen Herrn Grauke.«
    »Blödsinn.«
    »Sie waren in seiner Werkstatt.«
    Elke sog den Rauch ihrer Zigarette ein und zupfte sich Tabakkrümel von den Lippen. Wie Martin rauchte sie Filterlose.
    »Sie haben bei ihm Schuhe reparieren lassen«, sagte ich.
    »Er ist Schuster, stimmts?«
    »Stimmt.«
    Sie sah mich an. Ich neigte mich ein wenig vor und begutachtete ihren schmalen Mund.
    »Was solln das?«, sagte sie.
    »Benutzen Sie Lippenstift?«
    »Was?«
    Sina schüttelte den Kopf, glitt vom Barhocker, auf dem sie gesessen hatte, und ging zu einem Tisch, um eine Flasche Orangensaft und zwei Gläser zu holen. Ich zog meinen kleinen Block und den Kugelschreiber aus der Tasche, und machte mir Notizen.
    »Sagen Sie mir bitte Ihren Familiennamen, Sie sind eine Zeugin, Ihr Name wird nicht gespeichert.«
    »Nein«, sagte
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