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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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sie.
    »Ich will wissen, ob sie manchmal Lippenstift benutzen«, sagte ich.
    Sina kam zurück und stellte die Gläser auf das Brett, das an der Wand entlanglief und auf dem Prospekte und Illustrierte lagen.
    »Wieso ist das wichtig?«, sagte Sina.
    »Wahrscheinlich ist es nicht wichtig«, sagte ich. »Ich trag nur Beobachtungen zusammen. Am Anfang mussten wir damit rechnen, dass Herr Grauke sich umbringt, wir wollten ihn rechtzeitig finden. Und vielleicht war der Lippenstift auf einem bestimmten Gegenstand eine Spur.«
    »Sie wollten ihn finden, damit er sich nicht umbringt?«, sagte Elke.
    »Ja.«
    »Das ist doch jedem seine Sache, ob er sich umbringt.«
    »Es ist unsere Pflicht, ihn zu suchen.«
    »Und wenn es nicht Ihre Pflicht wäre?«, sagte Sina. Sie hatte den Saft in die beiden Gläser gegossen und schraubte die Flasche zu.
    »Wenn es nicht meine Pflicht wäre, wäre ich nicht hier«, sagte ich.
    Elke sagte: »Wieso maßen Sie sich an, jemanden daran zu hindern, Schluss zu machen? Wenn jemand beschlossen hat, es reicht, wieso kommen Sie dann daher und behaupten, es reicht nicht. Wieso zwingen Sie so jemanden, in sein Scheißleben zurückzukehren? Woher nehmen Sie das Recht? Woher?«
    Ich steckte den Block und den Kugelschreiber ein und verschränkte die Arme.
    »Darüber hab ich nicht nachzudenken«, sagte ich.
    »Aber Sie denken darüber nach«, sagte Elke.
    »Ja.«
    »Und wenn sich jemand umbringen will, und Sie sind der Meinung, er solle das tun, weil es sonst nichts mehr für ihn zu tun gibt in diesem Leben, dann hindern Sie ihn daran. Weil das Ihre Pflicht als Polizist ist.«
    »Ja.«
    »Es könnte auch Ihre Pflicht als gläubiger Mensch sein«, sagte Elke.
    »Als gläubiger Mensch«, sagte ich, »beschäftige ich mich mit meinem eigenen Leben.«
    »Jeder hat das Recht sich umzubringen«, sagte Elke. Sie drückte die Zigarette in einem Glasaschenbecher aus. Ich musste an das Plexiglasregal in Paula Trautweins Wohnzimmer denken, auch dort gab es solche Aschenbecher.
    »Kennen Sie die Schwägerin von Herrn Grauke?«
    »Wirklich nicht«, sagte Elke.
    »Und seine Frau?«
    Sie schüttelte den Kopf, grinste und trank.
    »Wann waren Sie zuletzt in seiner Werkstatt?«
    »Das ist die klassische Frage«, sagte Elke. Ich sagte: »Das ist die klassische Frage.«
    Sie sah Sina an. Zwischen den beiden Frauen mochte eine vertrauensvolle Freundschaft existieren, und so wie Sina über Elke gesprochen hatte, vermutete ich, sie tauschten Dinge aus, die sonst niemand wusste. Doch von Elkes Beziehung zu Grauke hatte die »Ragazza«-Chefin keine Ahnung gehabt. Sonst hätte sie bei unserer ersten Begegnung in einem anderen Ton mit mir geredet. Und hätte jetzt nicht derart verwundert auf Elkes Antwort reagiert.
    »Ist lang her«, sagte Elke, »drei Monate ungefähr.« Obwohl Sina nichts sagte, gelang es ihr nicht, neutral zu bleiben. Und da sie den Kopf zu spät zur Seite drehte, konnte ich kurz ihre Augen sehen.
    »Danke«, sagte ich.
    Zwei Mädchen kamen herein, die meine Anwesenheit erschreckte. Wie Kinder schauten sie hilfesuchend zu Sina.
    Ich sagte: »Ich bin am Gehen.« Und zu Elke: »Sie benutzen also selten Lippenstift.«
    »Mann!«, sagte sie. »Ich nehm nie Lippenstift! Ich brauch kein BSE, ich hab genug andere Probleme!«
    »Entschuldigen Sie meine Fragen«, sagte ich. »Wir wissen inzwischen, dass Herr Grauke nicht vorhat, sich umzubringen, und damit ist für uns die Sache erledigt. Seine Frau und seine Schwägerin sind natürlich niedergeschlagen und ratlos.«
    In Elkes Gesicht regte sich kein Muskel. Ihr Blick ruhte gleichgültig auf mir, als wäre ich der Wetteronkel. Die beiden Mädchen, die hereingekommen waren, setzten sich schweigend an den Tisch und ließen mich nicht aus den Augen. Ich verabschiedete mich und bedankte mich ein zweites Mal.
    Auf der Straße hätte ich den Wagen beinah übersehen. Ich war schon einige Schritte gegangen, als ich mich noch einmal umdrehte. Schräg vor einem schwarzen Range Rover hatte ich ein helles Heck bemerkt. Ich kehrte um. Das Auto war ein weißer Panda. Ich notierte mir die Nummer. Damit würde für Martin die Aufgabe leichter werden.
    Von einer Telefonzelle beim Kinderspielplatz rief ich ihn in der »Schwimmkrabbe« an.
    »Du brauchst nicht zu Fuß zu gehen«, sagte ich. »Sie hat ihr Auto dabei.«
    Über das Kennzeichen sollte er ihren Familiennamen und ihre Adresse herausfinden und sie dann beschatten, bis ich ihm neue Anweisungen geben würde. Vorher hatte ich noch
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