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Suche nicht die Suende

Suche nicht die Suende

Titel: Suche nicht die Suende
Autoren: Meredith Duran
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Leere durchdrang die Zimmer: Wände, die ihrer Gemälde beraubt waren; eingerollte Teppiche; Möbel, unter Staubfängern zum Schlafen gelegt. Aber Mrs Regis sagte die Wahrheit: Die Eichenholzdielen knarrten unter einer Schicht von frischem Wachs.
    Im ersten Stock trat sie vor seinem alten Schlafzimmer zur Seite, um Alex den Vortritt zu lassen, und er dachte, dass
hier
jetzt
sicherlich der Moment gekommen war, an dem die Dinge endgültig schwer für ihn werden würden. Als er eintrat, machte er einen tiefen Atemzug. Sie hatten die Bücherregale und den Kleiderschrank entfernt. Das Bett von seiner Bettwäsche befreit. Doch der Blick auf das Meer, auf die weiß gewaschene Klippe und das hellblaue Wasser, das sich endlos hinstreckte, war derselbe geblieben.
    Alex trat an das Fenster. Der Ausblick fühlte sich intimer und vertrauter an als sein eigenes Spiegelbild. Sein Spiegelbild war unbeständig, ein Produkt des Zufalls. Aber durch den Blick auf diese endlose Weite hatte er einst versucht, seinen Mut und seine Zukunft zu finden, während sich der herbe Geruch des brennenden Salpeterpapiers hinter ihm im Zimmer ausgebreitet hatte. Er hatte dafür gearbeitet, sich selbst zu entdecken.
    Zu deinem eigenen Besten, Alex.
    Er drückte die Fingerspitzen gegen die Fensterscheibe und zwang sich zu einem langen Atemzug.
    Der leicht kam. Natürlich tat er das. Manchmal war das Leben freundlich, und eine Krankheit verschwand wieder.
    Alex blinzelte, doch der Ausblick war gar nicht so unheilvoll. Er war nur … hübsch. Ja, dachte er, wenn Gwen glaubt, bei Sonnenaufgang sei die Seine schön, dann würde sie diese Aussicht nicht weniger reizvoll finden. Diese Aussicht: Wie merkwürdig, dass sie ihm früher einmal so viel bedeutet hatte. Darin lag so viel Wut und Verzweiflung, aber auch Möglichkeit. Es war nur ein kleines Stück der Welt, wenngleich ein hübsches Stück, gerahmt und zusammenhängend gemacht von Holz und Glas und Gips; grobes, derbes Material, das jedoch keinen Druck auf ihn ausübte, keine Forderung stellte, keine Last war.
    Dieses Haus erlegte ihm keinerlei Bürde auf. Er presste die Hand gegen den Fensterrahmen. Natürlich tat es das nicht. Es war ja nur ein verdammtes Haus.
    Alex atmete wieder durch, jetzt sogar noch tiefer. Wie konnte Gwen nur glauben, sie sei ihm eine Last? Sogar wenn er in diesem Haus stand, wenn er an sie dachte, fühlte er sich noch leicht. Hätte er als Junge aus diesem Fenster gesehen und statt des Meeres
sie
gesehen, er hätte nicht weniger Ehrgeiz für sich entwickelt.
    Nun … vielleicht auch nicht. Er fühlte, dass er lächelte – und das gelang hier, in diesem Haus, ganz ohne Mühe. Jungen waren begriffsstutzig, wenn es um Frauen ging. Sogar als Mann war er zu lange begriffsstutzig gewesen.
    Ein ächzendes Dielenbrett verkündete, dass Mrs Regis näher kam. Er wandte sich um, und das Lächeln, das noch immer auf seinen Lippen lag, schien sie zu verwirren. Ihre Hände falteten sich an ihrer Taille zusammen, gruben Falten in ihre Schürze wie zwei dünne Vögel auf der Suche nach Schutz.
    Vermutlich hatten sein plötzliches Auftauchen und seine stumme Betrachtung ein wenig wunderlich auf sie gewirkt, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Barrington das Haus gekauft hatte. »Und wie geht es mit Ihrem neuen Herrn?«, fragte er und war bemüht, es ihr leicht zu machen. »Haben Sie den Gentleman schon kennengelernt?«
    Ihre Stirn kräuselte sich. Kurzsichtig spähte sie ihn an. »Sir? Wir haben den Herrn jetzt seit Monaten schon nicht gesehen. Aber … das heißt –« Sie sprach hastiger, fürchtete bereits, dass diese Bemerkung als Kritik aufgefasst werden könnte. »Er spricht regelmäßig mit Mr Landry – das ist jetzt der Verwalter, Sir. Lord Weston ist ein sehr guter Herr; die Senkung der Pacht hat in diesem Frühjahr viele Familien im Dorf gerettet.«
    Alex starrte sie an. »Lord Weston?«, wiederholte er langsam.
    Sie blinzelte ihn an wie ein verschreckter Spatz. »Ja, Sir. Ihr … Bruder.«
    »In diesem Frühjahr?« Er hörte sich wie ein Papagei an. Egal. Hier war es: Seine Intuition fand ihr Ziel.
    Ihr hohlwangiges Gesicht nahm eine leichte Rosafärbung an. »Ah – vielleicht eher doch Sommer, Sir. Wir zählen in dieser Gegend den Mai zum Frühling, müssen Sie wissen.«
    So. Das Lächeln war auf seine Lippen zurückgekehrt. Vor einem Monat, lange nachdem die Neuigkeiten über den Verkauf die Runde gemacht hatten, hatte Gerry also die Pachtgebühren auf dem Landsitz
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