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Suche nicht die Suende

Suche nicht die Suende

Titel: Suche nicht die Suende
Autoren: Meredith Duran
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gesenkt.
    Er lachte, und sie zuckte zusammen. Arme Mrs Regis. Ohne Zweifel würde das Dorf bald tuscheln, dass der asthmatische Junge, der die Familie mit seinen rücksichtslosen Mätzchen geplagt hatte, jetzt zu einem ausgewachsenen Verrückten geworden war. »Er hat diesen Besitz nie verkauft.«
    Mrs Regis richtete sich auf, erzürnt über diese Idee. »Gewiss nicht! Dieser Besitz ist doch seit fast dreihundert Jahren im Besitz Ihrer Familie, Sir.«
    »Das ist wohl wahr«, sagte Alex. Dieser heuchlerische, janusköpfige Bastard Gerry. »Und so wird es auch bleiben.«
    Von allen verachtenswerten Dingen an der Londoner Saison – die Heucheleien und die Scharaden, die kleinen und großen Grausamkeiten, die oberflächlichen Komplimente und die noch oberflächlicheren Urteile – war keines so schlimm wie dieses: Die Saison hatte es Gwen bisher unmöglich gemacht, einen Frühling auf dem Land zu erleben. Sie hatte ganz vergessen, wie wunderschön Heaton Dale im Juni war, sogar mit den Pagodenbäumen, die einen lächerlichen Gegensatz zu den umliegenden Getreidefeldern boten.
    Sie saß in einem Korbstuhl auf der hinteren Terrasse, von der aus man den Blick weit ins Land hinein hatte. Sie trug noch immer den leichten Schal um die Schultern, den sie sich gegen die Morgenkühle umgelegt hatte, die die Vormittagssonne längst weggebrannt hatte.
Leg ihn ab,
dachte sie. Aber dann blieb sie doch reglos sitzen.
    Sie hatte sich in den vergangenen beiden Tagen sehr wenig bewegt. Es war, als hätte die Fahrt von London hierher all ihre Kraft erschöpft und als könne sie jetzt nichts tun, als ganz still dazusitzen und sich zu bemühen, an überhaupt nichts zu denken.
    Also schaute sie auf die Landschaft und versuchte, sich an der Schönheit zu erfreuen und Kraft daraus zu schöpfen. Heaton Dale lag auf einer Erhebung – einst war es eher ein Hügelchen gewesen, das ihre Eltern hatten aufschütten lassen. Schicht um Schicht waren Steine in die Erde gepresst worden und hatten das Haus näher zum Himmel gehoben, als die Natur es vorgesehen hatte. Von diesem hoch gelegenen Aussichtspunkt breitete sich in alle Himmelsrichtungen die Landschaft aus, die von den Graswegen zwischen den Kornfeldern in ein geometrisches Raster geteilt wurde.
    In den Hecken blühten Hundsrosen und Weißdorn und etwas dichter zum Anwesen hin standen die noch verbliebenen Pagodenbäume (sie hatte heute Morgen zwei fällen lassen, der Rest würde morgen der Axt zum Opfer fallen), und Heckenkirschen und Linden sprenkelten die Rasenfläche. Nachtigallen und Lerchen sprangen von Zweig zu Zweig, besangen den Himmel, den Frühsommer und die Sonne.
    Solch eine herrliche Aussicht. Zu herrlich, um von ihr nur angesehen und bewundert zu werden. Hinter ihr, im Haus, veranstaltete das Personal einen ziemlichen Lärm. Es mussten achtzehn Schlafzimmer gelüftet werden – achtzehn! Gwen konnte sich nicht erklären, was ihre Eltern sich dabei gedacht hatten – und halb so viele Wohnzimmer. Außerdem: zwei Speisezimmer, ein Billardzimmer, ein Rauchzimmer, ein Morgenzimmer, zwei Wintergärten, ein Musikzimmer, all die Zimmer, die nötig waren, um mehr als sechzig Angestellte zu beherbergen, und selbstverständlich die Kinderzimmer. Sehr große Kinderzimmer mit hohen Fenstern, die sowohl des Morgens als auch am Nachmittag das Sonnenlicht hereinließen. Ihre Eltern hatte große Pläne für ihre Kinder gehegt, von denen das Heiraten nur der Anfang gewesen war.
    Nun, sie hatten sie erst fortgeschickt, und dann … waren sie gestorben.
    Und dann war auch Richard gestorben.
    Zorn flackerte in Gwen auf, und mit ihm rührte sich wieder dieser erschreckende Drang zu weinen, der noch immer nicht besiegt war. Sie atmete tief ein, um ihn niederzukämpfen. Es kümmerte sie nicht, welche Pläne ihre Eltern gehabt hatten. Wenn sie jetzt, irgendwo dort oben im Himmel, böse auf ihre Tochter waren, weil sie es nicht geschafft hatte, ihre Träume wahrzumachen, dann mussten sie die Gründe bei sich selbst suchen. Sie waren gestorben. Jeder, den Gwen geliebt hatte, war gestorben, aber
sie
hatte überlebt und ihr Bestes getan. Allmählich war sie es leid, verlassen und sitzen gelassen zu werden.
    Ich liebe dich
, hatte Alex gesagt, und
Ich werde es beweisen –
als würde er sich dadurch das Recht erwerben, eine zweite Chance von ihr verlangen zu können. Oh, Alex war bei Weitem schlimmer als Pennington und Trent. Zumindest hatten
die
nur ihr Geld gewollt. Er hatte sich weitaus mehr versprochen
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