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Suche nicht die Suende

Suche nicht die Suende

Titel: Suche nicht die Suende
Autoren: Meredith Duran
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Träumer,
hatte der ihn verhöhnt.
Was meinst du wohl, wie weit du ohne die Beziehungen der Familie kommst?
    Richard jedoch war begeistert gewesen.
Bravo
, hatte er gerufen.
Lass uns ein Imperium aufbauen! Fangen wir gleich damit an!
    Alex legte die Hand auf den Sarg; das Holz fühlte sich kühl an und war auf Seidenglanz poliert worden. Bald würden sich die Würmer daran gütlich tun. Aber Richard war längst fort.
    »Du bist besser gewesen als jeder andere von uns«, sagte Alex leise, atmete tief durch und zog die Hand zurück. »Ich werde auf deine Schwester aufpassen.«
    Er hatte sie jetzt schon viel zu lange allein gelassen.
    Der Gedanke veranlasste ihn, sich zu erheben. Gwen stand dort, wo das Hauptschiff der Kirche anfing, ihr Haar schimmerte wie ein blutroter Heiligenschein in dem diffusen Licht, das durch eines der Oberfenster auf sie fiel. Alex’ Schwestern Belinda und Caroline, die Zwillinge, hatten sie zwar in ihre Mitte genommen, doch die Geier kreisten bereits über ihr: Trauergäste buhlten um Gwens Aufmerksamkeit und waren bestrebt, ihr zu kondolieren, damit sie in Erinnerung blieben. Vielleicht mochte ihnen das irgendwann einmal zum Vorteil gereichen.
    Alex bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Er kannte nur wenige der Anwesenden, aber wie üblich schienen die meisten ihn zu kennen. Blicke folgten ihm, das Getuschel wurde lauter. Er überhörte die Wortfetzen, die an sein Ohr drangen. Seine Sünden waren zahlreich und füllten ohne Zweifel Bände, aber die Gerüchte waren maßlos übertrieben.
    Er hörte noch andere Bemerkungen: geflüsterte Einladungen nach Ascot oder zum Cricket-Duell zwischen Eton und Harrow auf dem Lord’s. All diese Leute waren Gwens Freunde. Richard hatte keine Mühe gescheut, um nutzbringende Bekanntschaften zu knüpfen, doch seine Schwester hatte bereits nach dem ersten Monat ihrer ersten Saison mit nur einem einzigen Fingerwink ganze Scharen angelockt.
    Der Kummer der Trauergäste ist vermutlich nicht völlig vorgetäuscht, dachte Alex. Der Tod ihres Bruders würde es Gwen für mindestens ein Jahr unmöglich machen, am Treiben des Heiratsmarktes teilzunehmen. Landsitze würden also weiterhin verfallen, Grundbesitz würde auf Auktionen angeboten werden, weil ihr Vermögen durch die einzuhaltende Trauerzeit ärgerlich – und unerreichbar – fern sein würde.
    Alex hatte den Weg durch das Kirchenschiff zur Hälfte bewältigt, als Belinda ihn abfing. Beim Anblick ihrer rot geweinten Augen zog sich etwas in ihm zusammen. Es brachte jenen vagen Zorn in ihm dazu, stärker und drängender zu werden.
    Er atmete tief durch. Wie absurd, dass sich sein Zorn auf Belinda richtete.
Du ziehst es vor, ein Ausgestoßener zu sein,
hatte Richard irgendwann einmal zu ihm gesagt – bewundernd, wenn Alex sich recht erinnerte. Aber das Offensichtliche war Richard entgangen. Ganz gleich, wie weit Alex reiste, die Liebe seiner Schwestern fesselte ihn enger als alle Ketten. Ihre vorwurfsvollen Briefe folgten ihm um den ganzen Globus. Sie schienen zu glauben, dass seine Anwesenheit ein Trost für sie wäre – ein
Segen
sogar. Würde er sich doch nur endlich in England niederlassen – selbst jetzt, nach allem, was geschehen war, glaubten sie das vermutlich noch immer.
    Er nahm Belindas Hand und dachte, dass sie zu kalt und zu schlaff war. Sein Griff wurde fester. »Geht es dir gut?«
    Sie nickte, dann trat sie dicht an ihn heran. »Gwen war nicht wohl, vorhin in der Kutsche«, wisperte sie. »Sie muss sich hinsetzen.«
    Er sah an ihr vorbei. Eine ernst dreinblickende ältere Witwe unterhielt sich mit Gwen und berührte sie jetzt leicht am Arm. Als Reaktion darauf verzogen sich Gwens Lippen zu einem höflichen, aber mechanischen Lächeln.
    Ja wirklich, es war etwas pervers Beeindruckendes daran, wie ergeben sie ihre Rolle spielte. Erbrechen in der Kutsche, Lächeln in der Öffentlichkeit; in diesem Moment würde sie sogar ihr Erbrochenes wieder herunterschlucken, selbst wenn sie daran ersticken müsste. Einige Gäste missachteten die Anstandsregeln, indem sie ihr bereits in der Kirche kondolierten, schließlich befand man sich auf dem Höhepunkt der Saison, und deren gesellschaftliche Verpflichtungen ließen keine Zeit, um auch noch an der Beisetzung oder dem anschließenden Empfang teilzunehmen. Doch dass diese Leute die Etikette damit verletzten, würde Gwen niemals zugeben. Sie schriebe dieses ungewöhnliche Benehmen vermutlich einer Freundlichkeit zu, die so groß war, dass sie jegliche
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