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Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Titel: Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Autoren: Kai Meyer
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nun von allen Seiten heran und manövrierten so exakt, dass jede Kollision zwischen ihnen vermieden wurde, manchmal nur um Haaresbreite.
    Tarik verlegte sich auf ein wildes Hin und Her, spielte einzelne Teppichreiter gegeneinander aus, täuschte Sturzflüge an und stieg im letzten Augenblick auf. Bei alldem kam er dem Palast immer näher, stets bemüht, keinen allzu großen Vorsprung zu gewinnen, um den Bogenschützen kein freies Schussfeld zu bieten. Seine Gegner durchschauten diese Taktik, und bald ertönten Hornsignale, die den Gardisten ein anderes Vorgehen befahlen.
    Tarik hatte es kommen sehen. Die Schwärme aus Teppichreitern gaben seine unmittelbare Verfolgung auf und zogen sich ein Stück weit zurück, damit endlich die Schützen eingreifen konnten.
    Seine Finger tasteten entlang der Stränge des Musters, zogen manche zusammen, lösten andere voneinander. Immer wieder stieß er auf Knoten und Schlaufen, die er nicht zuordnen konnte, aber ihm blieb keine Zeit, sie zu hinterfragen. Er nutzte nur jene Teile des Musters, mit denen er sich auskannte. Sie reichten aus, um den fremden Teppich noch einmal zu beschleunigen. Wie ein farbiger Blitz schoss er der Palastmauer entgegen, zu schnell für die Blicke, die ihm folgten, zu schnell auch, um jetzt noch Kurskorrekturen auszuführen. Er hatte aus der Ferne auf eine der Balustraden gezielt und ließ den Teppich nun schnurgerade wie ein Geschoss darauf zurasen. Die Handvoll Bogenschützen in seiner Flugbahn sah ihn kommen, einige Pfeile lösten sich von den Sehnen, aber die wenigsten hatten damit gerechnet, dass er genau auf sie zuhalten würde.
    Das Muster loderte in unsichtbarem Feuer, als mehrere Pfeile den Teppich durchschlugen. Die Stränge sträubten sich einen Herzschlag lang gegen Tariks Befehle, aber es war bereits zu spät, um sich gegen den fremden Reiter aufzulehnen. Vom eigenen Schwung getragen, schoss der Teppich auf die Balustrade zu. Wenn sie ihn nicht vorher aus der Luft holten, würde er über die Köpfe der Männer hinwegfegen, ins Innere des Palastes vorstoßen und dann erst sehen, wie es weiterging. Ein Ziel nach dem anderen, wie immer.
    Er schloss das gesunde Auge und vertraute sich dem Muster an. Die Stränge vibrierten unter seinen Fingern wie die Saiten eines Musikinstruments. Sie schienen ihm zuzuflüstern, was vor ihm war – das verschlungene Steingeländer, die Soldaten in ihren bunten Gardeuniformen, das offene Maul des Korridors. Er spürte sie, war jetzt eins mit dem Teppich, überließ sich ganz dem magischen Tasten des Gewebes, das sich wie feinste Erschütterungen auf seine Fingerspitzen übertrug.
    Und dann war da plötzlich noch etwas anderes.
    Er hatte es die ganze Zeit über gefühlt – die fremdartigen Knoten und Schlingen, die ungewöhnliche Verbindung des Drachenhaars mit dem übrigen Knüpfwerk. Von einem Herzschlag zum nächsten gewannen sie an Eigenleben, veränderten die Struktur des Teppichs unter ihm, formten ihn um, formten ihn neu.
    Tarik erkannte, dass er verloren war. Der pfeilschnelle Vorstoß war ein unerhörtes Wagnis mit seinem unkorrigierbaren Kurs, der alptraumhaften Geschwindigkeit. Aber nun stand fest, dass er sich geirrt hatte. Er hatte Winkel und Höhe falsch abgeschätzt! Nur um eine Winzigkeit. Die Ursache musste das verletzte Auge sein, Amaryllis’ Fluch.
    Um ihn verlangsamte sich die Zeit. Er konnte nichts tun, nur zusehen, wie die Mauerkante oberhalb der Öffnung näher kam, dieselbe Kante, die er im nächsten Augenblick streifen und die ihn auf der Stelle enthaupten würde. Zu spät zum Ducken, erst recht für ein neues Manöver. Kein Ausatmen mehr, nicht einmal ein letzter Gedanke. Vorbei.
    Aber der Teppich ließ das nicht zu. Um ihn herum faltete sich das lange Teppichband in Windeseile zu etwas Anderem, einem Gehäuse aus verhärtetem Knüpfwerk, so schnell, dass Tarik es kaum wahrnahm. Innerhalb eines Lidschlags umschloss es ihn wie ein Panzer und bewahrte ihn vor den schlimmsten Folgen des Aufpralls.
    Trotzdem war der Zusammenstoß mit der Mauerkante entsetzlich. Der Schmerz hämmerte in seinen Schädel und raubte ihm das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, befand er sich noch immer in diesem einen, endlos langen Augenblick des Aufpralls. Die Zeit, vorher zäh wie Harz, schien nun endgültig stillzustehen.
    Die Kollision tötete ihn nicht, brach ihm nicht einmal die Knochen, und das war ein Wunder. Er verlor die Kontrolle, statt seiner steuerte nun das Knüpfwerk selbst.
    Allmählich
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