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Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Titel: Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Autoren: Kai Meyer
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wischten an ihm vorüber, flatternde Stoffmarkisen, diffuses Licht hinter Fensterläden und Vorhängen. Die vielfältigen Gerüche der Basare und Teehäuser. Gedämpfte Stimmen aus den Schlafzimmern der Reichen und den Elendsquartieren der Armen. In Bagdad lebten sie alle eng beieinander, vielleicht weil die Gefahr durch die Dschinne Aufstieg und Fall noch beschleunigt hatte und Nachbarn am einen Tag gleichgestellt, am nächsten schon Meister und Sklave waren.
    Die Gassen waren trotz der späten Stunde dicht bevölkert. Männer mit Turbanen und verschleierte Frauen wanderten von einem Lichtkreis zum nächsten. Händler transportierten ihre Waren auf Lasttieren von ihren Straßenständen nach Hause. Schmutzige Kinderbanden jagten einander kreischend umher, weil ihre Eltern angesichts der drohenden Belagerung anderes zu tun hatten, als ihre Sprösslinge ins Bett zu schicken.
    Obgleich fliegende Teppiche hier ein vertrauter Anblick waren, sahen viele auf, als Tarik mit wahnwitziger Geschwindigkeit über ihre Köpfe hinwegfegte. Ein Pferd ging durch, als der Luftzug des Teppichs seine Mähne aufwirbelte. Panisch preschte es auf ein erschrockenes Kamel zu, das mit Tonkrügen beladen war und die Hälfte seiner Last beim Ausweichen an einer Hauswand zerschmetterte. Empörte Rufe wurden laut, wütendes Geschrei, aber da war Tarik bereits über den Aufruhr hinweg.
    Seine vertraute Konzentration setzte ein, die Mechanismen eingeübter Handbewegungen im Muster, verknüpft mit Beschwörungen hinter zusammengepressten Lippen. Sein eigener Teppich war im Palast zurückgeblieben, und dieser hier war von gänzlich anderer Art: fast zehn Schritt lang und nur einen breit, eher ein schmales Band als das übliche Rechteck. Tarik saß weit vorn, fast am Rand, wie er es sich von Almarik und den Falkengardisten abgeschaut hatte. Nach wie vor verstand er nicht, welchem Zweck die ungewöhnliche Form diente. Bedeutete die größere Fläche, dass mehr chinesisches Drachenhaar eingewoben wurde? Machte das den Teppich wendiger oder schneller? Verlieh es ihm gar Fähigkeiten, von denen er nichts ahnte? Die Vorstellung beunruhigte ihn.
    Vor ihm wuchsen die Zinnen empor. Gerüstete Wächter bemannten den Wehrgang, aber sie waren es nicht, vor denen er sich in Acht nehmen musste. Sie sahen ihn kommen, stießen Alarmrufe aus – dann war er auch schon über sie hinweg, riss einen dabei über die Brüstung und erkannte mit Genugtuung, dass mit der Wut auch seine alte Skrupellosigkeit zurückgekehrt war. Er verspürte kein schlechtes Gewissen, weder Almarik noch dem Mann auf der Mauer gegenüber. Alles in ihm war auf seine unmittelbaren Ziele gerichtet: der Falkengarde entkommen, den Palast erreichen und dann, irgendwie, Sabatea befreien.
    Vielleicht war es Selbstmord, Persiens bestbewachte Festung im Alleingang zu stürmen. Aber besser das als aufzugeben, wie damals, als er Maryam in den Klauen des Narbennarren zurückgelassen hatte. Hatte er wirklich geglaubt, dass sie tot war? Oder hatte er es sich nur eingeredet, um sich nicht der noch unbequemeren Wahrheit stellen zu müssen – dass er sie im Stich gelassen hatte?
    Über ihm formierten sich Falkengardisten auf ihren Teppichen, um wie Raubvögel auf ihn herabzustoßen. Sein Eindringen in das Allerheiligste war jetzt kein Geheimnis mehr. In seinem Rücken ertönten Hörner, und er konnte zusehen, wie sich das Netz aus fliegenden Wächtern über dem Palastbezirk in Windeseile zusammenzog. Er setzte alles auf den Vorteil der Dunkelheit, die ihn so tief über den Baumwipfeln von oben aus fast unsichtbar machen musste. Zweifellos suchten sie jetzt alle nach ihm, aber er war nicht sicher, ob mehr als einige wenige ihn bereits entdeckt hatten.
    Doch, da kamen sie. Ein halbes Dutzend von rechts oben, und es würde nicht lange dauern, ehe andere ihnen folgten. Er fluchte leise und spürte zugleich ein Woge von Hochgefühl durch seinen Körper jagen. Er war in der Luft, auf einem Teppich und auf sich allein gestellt – so war es während der letzten sechs Jahre immer gewesen. Keine Rücksicht auf andere. Nur ein Ziel, nur sein Sieg am Ende des Rennens.
    Mit einem kaltblütigen Lachen ließ er den Teppich absinken. Der lange, schlanke Schweif war nicht so starr, wie er es von seinem eigenen Teppich kannte; vielmehr verlor er nach hinten hin an Festigkeit und flatterte wie eine Flagge hinter ihm her. Vielleicht nur ein Anzeichen dafür, dass er den fremden Teppich nicht vollständig unter Kontrolle
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