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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz
Autoren: Britta Strauß
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Kern liegen, Unmögliches wäre möglich. Und es bedeutete noch etwas anderes. Seehundmenschen waren magische Wesen, welche die Macht des Meeres nutzen konnten, um sich zu heilen. Sie waren gar magisch genug, um nach dem Tod ins Leben zurückzukehren.
    Wenn man den Legenden glauben wollte …
    Während draußen der Schneesturm tobte, wanderte ich in Gedanken versunken weiter und schnupperte am Lebkuchenbaum, dem Eukalyptus und dem weiß blühenden Stern-Jasmin. Ich schwelgte im Duft der Orchideen und der cremegelben Ylang-Ylang-Blüten, tauchte meine Nase in die zarten Blüten malvenfarbener Rosen und seufzte in der süßen Wolke, die den rot blühenden Frangipangi-Busch umgab. Fleischige Beeren glänzten an den Zweigen des Pfefferbaumes, Nässe tropfte von den Wedeln der Dschungelpalmen. Wenn wir es uns hätten leisten können, wären Dad und ich durch sämtliche Regenwälder dieser Welt gewandert, hätten alle tropischen Inseln durchkämmt und jedes abgeschiedene Tal erforscht, um neue Kostbarkeiten zu entdecken. Nicht um sie hierher zu schaffen, sondern um sie einmal in ihrer wahren Heimat gesehen zu haben.
    Das Gewächshaus der Gärtnerei glich dem unseres Hauses bis auf das kleinste Detail, abgesehen von der Tatsache, dass hier keine Gouldamadinen umherflatterten und auf die Blätter des Bananenbaumes kackten.
    Wie bei uns stand ein Sofa unter einem von feuerfarbenen Kletterrosen überwucherten, schmiedeeisernen Bogen. Aus unsichtbaren Lautsprechern ertönte klassische Musik, auf einem Beistelltisch in marokkanischem Stil standen hübsch angerichtet eine Keksschale und eine Kanne mit indischem Gewürztee. Es gab Kunden, die nur hierher kamen, um auf dem Sofa auszuspannen und in den Farben und Düften zu schwelgen. Manche kamen sogar ausschließlich deshalb hierher.
    Dad und ich hatten der Tatsache schon vor langem ins Auge gesehen: Westray war ein schlechter Ort für eine auf exotische Pflanzen spezialisierte Gärtnerei. Die Menschen auf der Insel mochten das einfache Leben. Sie verzichteten auf Überflüssiges und beschränkten sich auf das Praktische. So sehr wir unsere tropischen Kostbarkeiten liebten, so überflüssig erschienen sie den meisten Menschen hier. Am besten liefen Nordmanntannen, Grabgestecke und Weihnachtssterne.
    „Schon wieder ganz in schwarz?“
    Erschrocken hob ich meine Nase aus den weißen Blütenstauden des Orangenjasmins. Olivia kam auf mich. Sie war die einzige Mitarbeiterin in der Gärtnerei und gleichzeitig auch die engste Vertraute meines Vaters. Wie sie da stand, mit ihrer roten Schürze und den kecken blonden Locken, sah sie wie eine jugendliche Meg Ryan aus, obwohl sie bereits auf die Vierzig zuging. In ihrer Gegenwart ging Dads Beschützerinstinkt regelmäßig mit ihm durch, doch wie er mehrmals betont hatte, kam sie als Partnerin für ihn nicht in Frage. Mir war schleierhaft, warum. Er hatte seine Entscheidung niemals begründet, es sei denn, man ließ ausweichende Antworten wie „das ist eben so“ oder „keine Ahnung“ gelten. Olivia war hübsch, geistreich und humorvoll. An fehlendem äußerem und innerem Charme konnte es nicht liegen. Vermutlich wollte mein Vater grundsätzlich keine Partnerin. Eine Vorsichtsmaßnahme, die weitere Verletzungen verhindern sollte. Dad war seit Mums Verschwinden wie eine fest verschlossene Auster, aber ich konnte es ihm nicht verübeln.
    „Wie lange willst du noch als Maulwurf herumlaufen?“ Olivia zeigte ihr süßestes Kleinmädchen-Grinsen. „Du solltest mal Farbe bekennen. Ein hübsches Mädchen wie du sollte seinen Typ unterstreichen. Blau würde fantastisch zu deinem roten Haar und zu deinen grünen Augen passen.“
    „Ich mag es aber eben so.“ Pikiert sah ich an mir herunter. Schwarze Cordhose, schwarzer Rollkragenpullover, dunkelbraune Schuhe. Was war daran falsch? „Dieses Outfit harmoniert mit dem Winter. Vor allem mit dem Winter auf dieser Insel. Ich will mich nicht wie ein greller Papagei fühlen, okay? Wir sind hier auf den Orkneys, nicht in Miami. Sollen einfache Gemüter von mir aus herumlaufen wie Bollywood-Weihnachtsbäume, ich mache da nicht mit.“
    „Einfache Gemüter?“ Olivia schnalzte missgünstig mit der Zunge. „Wer hat denn da gerade arrogante Höhenflüge?“
    „Das hat nichts mit Arroganz zu tun. Und auch nichts mit Düsternis oder Depressionen. Ich trage bunte Sachen. Im Sommer.“
    „Na ja, wenn du Braun, Khaki und Beige zu bunt zählst.“ Anscheinend befand sich Olivia auf Konfrontationskurs.
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