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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt
Autoren: Gisa Pauly
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nicht zu erkennen geben wollte.
    »Ich hatte dem Kurdirektor gesagt, dass er über deine Ankunft schweigen soll«, murmelte Ludwig.
    Aletta antwortete nicht, starrte schweigend auf die Menschen,die ihnen entgegenblickten, allesamt dunkel gekleidet, die Männer mit Hüten, die Frauen mit Tüchern, die ihre Köpfe bedeckten. Allmählich wurde aus der Menschenmasse eine Masse von vielen Menschen, einzelne waren zu erkennen, einige traten aus der Menge heraus, indem sie winkten, Hüte schwenkten, auf und ab sprangen.
    »Es hilft nichts«, sagte Ludwig und löste sich von Aletta. »Du musst lächeln.«
    Er trat einen Schritt zurück und blickte nun über ihren Kopf der Ankunft entgegen. Auf ihr Schweigen reagierte er nicht, er wusste um ihre Gefühle und brauchte keine Erklärungen.
    Noch bevor das Schiff anlegte, wichen die ersten Reihen der Wartenden zurück, nur zwei Personen blieben stehen – der Kurdirektor und seine Gattin, die es sich nicht nehmen lassen wollten, Aletta Lornsen als Erste auf Sylt willkommen zu heißen. Heimgekehrt nach zehn Jahren! Alettas Wunsch, den Fuß ohne viel Aufhebens auf heimatliche Erde setzen zu dürfen, war von Kurdirektor Wülfke anscheinend nicht ernst genommen worden. Vermutlich hatte er mit seiner Frau darüber gesprochen, dass der Anstand es gebührte, die berühmte Sängerin angemessen zu empfangen, diese wiederum hatte mit ihrer Nachbarin darüber beraten, wie man sich zu diesem Zwecke aufzuputzen habe ... und im Nu hatte ganz Westerland Bescheid gewusst.
    Aletta wickelte die Stola eng um ihren Körper, während sie darauf wartete, dass das Schiff vertäut wurde. Sie fror. Tief in ihrem Innern wurde sie von einer Kälte gequält, die ihre Anspannung erstarren ließ, obwohl die Erwartung ihr die Hitze auf die Wangen trieb. Die Jubelrufe, die ihr entgegenklangen, erwiderte sie mit einem Lächeln, in dem sie Übung hatte, ihre Haltung drückte Hochmut aus, auch darin hatte sie Übung. Nur keine Vertraulichkeiten, kein Anbiedern an die Bewunderer ihrer Kunst! Das hatte sie längst gelernt.
    Ein tieferes Lächeln galt lediglich dem Ehepaar Wülfke, außerdem einer früheren Nachbarstochter, deren Bild sie aus derMenge ansprang, und der Besitzerin des Stuben-Ladens, in dem Alettas Mutter fast täglich eingekauft hatte. Rosi Nickels war klein und unscheinbar, aber sie schrie so laut Alettas Namen, dass sie zu den wenigen gehörte, die ein freundliches Winken erntete.
    »Nicht suchen«, flüsterte Ludwig ihr zu. »Wenn sie da sind, müssen sie auf dich zukommen. Nicht umgekehrt!«
    Wie gut er Aletta kannte! Er wusste, dass sie versucht war, den Blick über die Menge schweifen zu lassen, nach dem steifen Hut ihres Vaters Ausschau zu halten, nach dem schwarzen Kopftuch ihrer Mutter, nach Insas dicken blonden Zöpfen, die sich niemand so kunstvoll auf den Kopf stecken konnte wie sie. Aletta hielt den Blick auf den Kurdirektor gerichtet, auch nach Pfarrer Frerich hielt sie nicht Ausschau und nicht einmal nach Jorit Lauritzen. Wenn sie auch schuldbeladen diese Insel verlassen hatte, nun kehrte sie hocherhobenen Hauptes zurück. Was sie getan hatte, ließ sich wiedergutmachen. Was die Eltern und ihre Schwester ihr dagegen vorwerfen würden, brauchte sie nicht wiedergutzumachen. Es würde an ihnen sein, sie um Verzeihung zu bitten.
    Dass weder der Kurdirektor noch seine Gattin ihre Familie erwähnte, fiel Aletta erst auf, als sie bereits, flaniert von den beiden, die Inselbahn bestieg, die sie nach Westerland bringen sollte. Aber sie machte es so, wie Ludwig es ihr geraten hatte. Sie fragte nicht nach ihren Eltern und ihrer Schwester, erkundigte sich nicht nach ihrem Wohlergehen und gab mit keiner Silbe, keinem Blick zu verstehen, dass sie nichts von ihren nächsten Angehörigen wusste, dass sie keine Ahnung hatte, wie es ihnen in den letzten zehn Jahren ergangen war, dass sie nicht einmal wusste, ob die drei noch gesund waren. Ob sie dem Kurdirektor weismachen konnte, dass sie deswegen nicht fragte, weil sie über alles Bescheid wusste? Oder war ihm und allen Syltern längst bekannt, dass es in den vergangenen zehn Jahren keinerlei Kontakt zwischen Aletta und ihrer Familie gegeben hatte? Womöglichhatte ihre Mutter bei jeder Gelegenheit darüber geklagt, ihr Vater zornig gebrummt, wenn er nach seiner Jüngsten gefragt worden war, und Insa hatte vermutlich so unnachgiebig geschwiegen, dass alle bald Bescheid wussten. Aber das musste Aletta egal sein. Sie hatte alles genau mit Ludwig
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