Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alpenkasper

Titel: Alpenkasper
Autoren: Willibald Spatz
Vom Netzwerk:
Wohnraum
    Der Mann streifte genervt eine der beiden Greisinnen, die sich vor der Metzgerei breit gemacht hatten, zum Reden vor, nach oder zwischen dem Vormittags-Wurstkauf. Sie verachteten ihn und hätten gern mehr hervorgebracht als ein empörtes »Also«, wäre der Mann nicht schon viel weiter gewesen. Sie hatten beim Körperkontakt mit dem Eiligen strengen Schweißgeruch wahrgenommen, eine Schuppe vom Bart war an dem Lodenmantel der Alten hängengeblieben.
    »Der war gar nicht mehr so jung, der muss gar nicht so unhöflich sein.«
    »Aber auch die Jungen kommen langsam in ein Alter. Und was nachkommt, ist nie besser.«
    »An den Jungen merkt man, wie man selber alt wird.«
    Einander zustimmend annickend, schlurften sie weiter, zur nächsten Bäckerei.
     
    Der Mann wurde langsamer, schaute die Hauswände hoch, suchte nach Hausnummernschildern, wühlte in seiner Hosentasche, musste ganz innehalten, um das Objekt ans Licht zu fischen: ein Umschlag. Er hielt ihn sich nah an die Brille, um die Anschrift zu lesen. Einige zielstrebige Meter und er war angekommen. Haus. Der Umschlag enthielt auch einen Schlüssel zu einem aufgeräumten Hausgang. Unter den Briefkästen und der Anschlagtafel des Hausmeisters ein Kinderwagen. Er fand den einen Namen, der ihn ansprach, auf einem Schild unter einem Postschlitz und nahm die Stufen nach oben. Der Aufzug wartete stumm im ersten Stock, der Mann ließ ihn unbenutzt und landete vor einer der zwei Türen im zweiten Stock, schnaufte durch. Hier passte der andere Schlüssel.
    Ohne Vorsicht ging er durch den Wohnungsgang gerade in die Küche. Der Tisch, die Arbeitsplatten standen abgewischt und ungebraucht, auf einem Stuhl lagen Prospekte, verteilt vor einer Woche. Am Wohnzimmer hing ein Balkon über den Köpfen der Passanten, im Zimmer dominierte grau ein Flachbildschirm. Der Mann drehte bewusst seinen Kopf. Auf einem Tischchen stand ein Terrarium, eine Bartagame starrte ihn schon eine ganze Weile daraus an. Sie drehte den Kopf und fing sich eine vorbeizuckende Grille, verschlang sie. Ein Schritt weiter in den Raum. Er setzte sich, nahm Papiere vom Couchtisch und las eins nach dem anderen durch. Nach Minuten, in denen er den Stapel, ohne etwas Relevantes entdeckt zu haben, durchgearbeitet hatte, stand er auf und steuerte das rot blinkende Mobiltelefon an, das auf einem Regal lag. Ein neuer Anruf in Abwesenheit, Handynummer, vor 15 Minuten.
    Die Frau stand hinter ihm, er japste, als er sie sah, verbarg das Telefon hinter seinem Rücken, öffnete seinen Mund, sagte nichts. Sie musterte ihn einmal von oben nach unten, ohne hängenzubleiben. Das Haar steckte nass in einem Handtuchturban.
    »Ich hab Sie im Bad gestört«, stellte der Mann fest.
    »Nein, nicht im Bad.«
    »Zum Glück. Tut mir leid.«
    »Was?«, blaffte sie ihn an.
    »Ich habe mit niemandem hier gerechnet, ehrlich gesagt«, gab er zu und wurde dabei etwas lauter.
    »Ich auch nicht. Dann bräucht ich jetzt das Telefon.«
    »Sie müssen die Polizei nicht rufen«, beeilte er sich. »Ich werde einfach verschwinden. – Alles nur ein Missverständnis. Tut mir leid.« Zwei Schritte Richtung Ausgang, gleichzeitig auf sie zu.
    Sie stoppte ihn, Hand an seine Brust. »Vielleicht verraten Sie mir noch, wie Sie reinkommen sind.«
    »Ich habe eigentlich eine Menge zu tun, ich habe hier nichts verloren.«
    Sie drehte sich zur Wohnungstür. »War die offen?«
    »Nein, ich habe doch den Schlüssel.«
    Ihre Hand wanderte in seine, sie schob ihn zur Couch. »Sie müssen mir das alles genau erklären. Ich mache uns Kaffee.«
    »Dazu fehlt mir die Zeit. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich gehe, ich habe einen wichtigen Termin. Ehrlich.«
    »Wenn Sie jetzt versuchen zu gehen, zeige ich Sie wirklich an«, drohte sie und verschwand in der Küche.
    Als sie zurückkam mit zwei Katzentassen dampfenden Kaffees und einer Handvoll Schokoladengebäck auf einem Tablett, starrte er auf den Umschlag mit dieser Adresse und den beiden Schlüsseln vor sich. »Da«, sagte er. »Können Sie zurückhaben, ich bin froh, wenn es mich nichts angeht, ehrlich.«
    »Mit Milch und Zucker?«
    »Nur Milch. Danke. Und auch nicht viel. Das heißt, Sie haben frische Kuhmilch, da nehm ich gern kräftig.«
    »Wie kommen Sie an die Schlüssel zu unserer Wohnung?«
    »Ich wollte ehrlich nichts stehlen. Und auch nicht schnüffeln. Das ist überhaupt nicht mein Job. Ich habe eigentlich einen Termin und müsste schon weg sein.« Er zog aus seiner Hose sein Handy, ließ mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher