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Alpenkasper

Titel: Alpenkasper
Autoren: Willibald Spatz
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können.
    »Der ist gut«, stellte er fest und deutete auf den leeren Kuchenteller.
    »Einwandfrei«, stimmte Jakob zu. »Ich warte ja auch. Auf den Herrn Neun.«
    »Der kommt um die Zeit nicht zu uns runter.«
    »Ich bin aber verabredet.«
    »Um die Zeit? Ich glaub nicht, dass der kommt. Der kommt sowieso eigentlich nie hierher. Ist dem zuviel Volk hier, der will lieber mit den feinen Leuten zusammen sein. Der ist ja hier der Chef, da braucht er uns nicht.« Der Kantinenchef rotzte in seine Schürze. »Was hätten Sie denn von dem gewollt?«
    »Wieso hätte? Ich will. Ich bin von der Zeitung, ich habe ein Interview.«
    »Au weh. Die mag er gar nicht. Die Pressedeppen, die können ihm gestohlen bleiben. Da hast du was vor, wenn du mit dem reden willst. Kennen Sie den Schultzberg? Freilich kennst du den. Kritikerpapst. Der schreibt echt manchmal Sachen, wo du dir denkst, in welchem Stück war der denn, manchmal schreibt er auch gut. Profi halt. Blöd ist der ja nicht. Jetzt verrat ich Ihnen mal eins: Der kommt gern hierher – wir haben ein recht billiges Bier – das sauft der in sich hinein, dass es direkt eine Freude ist als Wirt, das auszuschenken. Und dem merkst du nichts an. Erste Halbe, zwölfte Halbe – immer gerader Gang, immer klare Aussprache, ein echter Profi. Und jetzt verrat ich dir was: Der ist schlau, weil er hierherkommt. Vor den Premieren, da hockt er sich an den Tisch mit den Schauspielern oder den Assistenten oder den Technikern. Da trinkt er bloß und sagt nichts, hört genau zu. Und wenn die viel lästern über den Regisseur oder die Produktion, dann weiß er, was los ist, dann verreißt er die Aufführung nach Strich und Faden und wenn die Beteiligten zufrieden sind, dann lobt er auch die Premiere. Die mögen den, die sagen, dass der was versteht vom Theater, aber in Wirklichkeit versteht er einen Schmarrn vom Theater, nur von den Menschen, da hat er eine Ahnung. Deswegen hasst ihn der Neun auch so, weil er es mit den Menschen, den einfachen, halt gar nicht kann.«
    »Da könnte man noch was lernen.«
    »Sie schreiben ja auch. Ihr Gesicht ist mir noch nie aufgefallen.«
    »Ich war ab und zu da«, gab Jakob zu.
    »Du schreibst mehr für den Sport. Oder halt! Eher Computer«, tippte der Kantinenchef.
    »Gerade, wie es kommt. Ich kann mir nicht viel aussuchen.«
    Ein jüngerer Schauspieler tauchte am Eingang auf, er hielt sich am Türstock fest und atmete heftig, bevor er hervorstieß, ohne seine Stimme geschult zu schonen: »Scheiße, ist einer von euch ein Arzt?«
    Das Gesprächsgemurmel erstarb, der Atemlose hatte alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, es rauschte die Spülmaschine im Hintergrund.
    »Josef, was ist los?« Den Kantinenchef konnte hier unten nichts erschüttern. Er ging auf den Frager zu, der stammelte: »Oben bei der Probe, Scheiße. Ist voll eskaliert.«
    Ein Dutzend machte sich auf nach oben, um zu sehen, was da los war. Einem Dutzend konnte weniger passieren als einem. Auf der Bühne standen alle Probenbeteiligten im Halbrund um einen Jungen, der da lag, ohne sich zu rühren. Im Hintergrund öffnete sich majestätisch der Zuschauerraum, leer bis auf ein Regiepult im Parkett. Dort saßen hilf- und sprachlos der Regisseur, seine Assistentin und ein Mann, der seinen Ellenbogen auf seinem zitternden Knie abstützte.
    Der Regisseur fand seine Sprache wieder, er brüllte: »Was soll das? Ich brauch keine Karawane von Deppen, schaut, dass ihr einen Notarzt herbringt.«
    »Jetzt beruhig dich mal, Meister, wir müssen uns doch selbst erst ein Bild von der Lage machen«, sagte der Kantinenwirt.
    »Für Sie immer noch Herr Neun, Herr Franzbein.«
    Jakob löste sich aus dem Kreis der peinlich berührten Zeugen der Szene und beugte sich zu dem Jungen hin. Der zuckte zusammen, als er ihn an die Schulter fasste. »Geht’s?«, fragte er und ging um ihn herum. Der Verletzte hielt sich mit beiden Händen ein Tuch ans Auge, das Tuch war rot. Jakob bat ihn, sich das ansehen zu dürfen, doch bei der ersten Bewegung heulte der Junge auf und Jakob zuckte zurück.
    »Der ist ausgetickt, einfach so, ohne Grund. Wie wir ihn bremsen wollten, hat er auf einmal ein Messer in der Hand, Arne ist nicht mehr schnell genug weggekommen«, informierte ein anderer von hinten.
    »Und wo ist der Messerstecher jetzt?«, wollte Franzbein wissen.
    »Einfach verschwunden hier im Haus.«
    »Dann wär’s vielleicht auch nicht verkehrt, wenn wir die Polizei riefen. Oder, Herr Neun?«
    »Lauter Schlaue, dann braucht ihr
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