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Alpenkasper

Titel: Alpenkasper
Autoren: Willibald Spatz
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ZU SEIN.
    Sie war seine Verlobte und sie erwachte wieder einsam, allein. Sie begann, sich in ihrem Alleinsein einzurichten beim Frühstück. Sie dachte: Suche und fang da an, wo dein Wissen über ihn anfängt. Sie wusste wenig über ihn. Sie hatte sich ihm geöffnet, ohne ihn zu kennen. Seine Vergangenheit hatte er gehütet. Da war was Dunkles oder was Peinliches. Er redete nicht über sich. Er war für sich kein Thema. Und: Er hatte ihr gesagt, dass sein Leben Müll zum Wegschmeißen war, bevor er sie getroffen hatte. Vor ihr saß nun der Bruder, ein lebendiges Stück Birne-Vergangenheit. Dem konnte man einen Hinweis entreißen, wenn man ihn ein bisschen kitzelte.
    »Jakob, ich spüre da einen Widerstand, jedes Mal wenn wir über deinen Bruder reden. Woher kommt das? Ich spüre keinen Widerstand, wenn du mir direkt gegenüberstehst. Wie kann ich das deuten?«
    »Ich bin besoffen und sackmüde.«
    »Es ist halb zehn und du hast eineinhalb Gläser Sekt getrunken.«
    »Ich hatte untertags schon.«
    »Einen Fingerhut Bier?«, provozierte sie. »Wenn es dich in Fahrt bringt: Ich habe Geld. Wenn du dich entschließen könntest, mir auf der Suche nach Birne zu helfen, dann bezahl ich dich.«
    »Das kann ich nicht machen. Ich kann nicht für Geld nach meinem eigenen Bruder suchen.«
    »Gut. Dann suchst halt so.«

Stadtkantine
    Jakob trank zwei Aspirin zum Frühstück. Er duschte sich lange und kalt. Er war dabei, seine Laufklamotten aus dem Schrank zu suchen, als das Telefon läutete. Es war sein Redakteur. Es ging um seinen Artikel über das Arbeitslosenprojekt am Theater.
    »Servus. Da muss ja gestern einiges los gewesen sein im Theater, Jakob.«
    »Kann man so sagen«, stimmte Jakob zu.
    Nach einem Sekundenbruchteil-Schweigen erkundigte sich der Redakteur: »Und wieso steht davon nichts in deinem Artikel?«
    »Das war nicht mein Thema, ich sollte das Projekt vorstellen.«
    »Schon klar. Aber wenn so was passiert, dann erwacht in einem doch der journalistische Instinkt, da klebt man doch an der Fährte fest. Oder?«
    »Ich ergänz das, gern, ich hab das ja hautnah erlebt.«
    »Nicht nötig. Ich hab schon den Praktikanten losgeschickt, der macht was draus. Dein Bericht kommt dann auch morgen, natürlich kleiner, ohne Bild. Servus.«
    Jakob saß fest auf diesem Stuhl mit diesem Telefon in der Hand. Erst dem dritten Befehl gehorchten die Beine und erlaubten es ihm, aufzustehen und seinen Fernseher einzuschalten. Mittagsnachrichten, gemacht von Menschen, die es geschafft hatten, journalistisch. Sogar Birne hatte es geschafft. Irgendwie bei der Polizei. Dann war er verschwunden.
    Es war kein Geld gekommen, zeigte ihm die Online-Übersicht seines Kontos an. Er besaß jetzt noch 14 Euro, das zeigte es ihm auch an. Die Zeitungen müssen sparen, die Anzeigen sind eingebrochen. Wenn sie jeden Freien auch nur einen Tag später bezahlen, dann sparen sich die Zeitungen Massen an Zinsen, wenn sie sie zwei Tage länger hungern ließen, sparten sie sich doppelte Massen an Zinsen. Mit 14 Euro brauchst du nicht zum Schuhekaufen und auch nicht ins Nobelrestaurant, aber eine Kantine wäre drin. Die Theaterkantine ist in Ordnung, doch da schmeckt das Essen zurzeit nach Schnaps und Hader. Die Stadt hat auch eine Kantine, die billig und gut kocht. Pfannenschnitzel für 3,60, Spezi für 0,80. Jeden Tag, heute, morgen.
    Jakob setzte sich oben auf dem Verwaltungsgebäude der Stadt, wo man eine Postkartenaussicht über das verwaltete Gebiet hatte, an einen Platz, von dem er den Norden, Osten und den Eingang gut überblicken konnte. Er hatte zum Schnitzel Kartoffelsalat gewählt, keine Pommes. Ketchup kostet 0,30 Cent extra inzwischen, früher war ein großer Kübel zum Selberbedienen neben der Kasse gestanden. Jakob zwang sich, gegen seinen großen Hunger langsam zu essen. Ein halbes Schnitzel lag noch vor ihm und er hätte schon aufhören können, ohne mit Schmerzen im Bauch heimwanken zu müssen. Am Eingang erschienen Moni und Albert Neun. Moni sah ihn nicht, Herr Neun schon, doch als Jakob grüßte, nickte er nur abwesend zurück, gerade so, als ober sich nicht mehr erinnere, wer der Schnitzelesser sei. Du hast immer mit anderen Menschen zu tun und die selbst sind schon so interessant, dass sie in die Zeitung dürfen, das multipliziert sich ja täglich. Die Katharina hatte gut reden. Erst das Fressen, dann die Moral. Oder: Weil der Mensch ein Mensch ist, braucht er was zum Essen bitte sehr. Wenn die heute noch das Telefon abbuchen, dann war das
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