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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt
Autoren: Gisa Pauly
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abgesprochen. Bisher waren sämtliche Entscheidungen, die er für sie getroffen hatte, richtig gewesen. So würde es auch in diesem Fall sein. Aletta war froh, seine Schritte zu hören, seine Nähe zu spüren, sein Rasierwasser zu riechen und gelegentlich im linken Augenwinkel das Auffliegen seines weiten Mantels zu erkennen. Ludwig war bei ihr! Und sie wusste, er würde niemals von ihrer Seite weichen.
    Auch sein Rat, sich bei ihrer Ankunft auf Sylt bescheiden zu kleiden, war richtig gewesen. In Wien, wo sie beide seit Jahren lebten, trug sie gern ausgefallene Mode, die sie am liebsten in Paris bestellte, wo besonders elegante Kleidung entworfen wurde. In ihren Koffern führte sie leichte Straßenkleider mit, in Lila und Blau, eines sogar mit einem extravaganten Muster aus Tupfen und Runen. Ein großer Koffer war allein dazu da, ihre Hüte aufzunehmen, zwei Strohhüte, mehrere Filzhüte und sogar einen weißer Zylinder, der in Wien zurzeit der allerletzte Schrei war. Auf Sylt würde man sich vermutlich auch über ihren Spazierstock wundern, der zum Glück in den größten ihrer Koffer gepasst hatte. In Wien war in diesen Tagen eine Ausgehtoilette erst mit einem auffälligen Spazierstock perfekt. Natürlich musste sein Knauf aus Gold oder Emaille gefertigt und mit Edelsteinen verziert sein. Ludwig hatte für ihren Spazierstock sogar antike Smaragde aufgetrieben. In Wien hatte sie damit Aufsehen erregt ...
    Aletta hatte alles eingepackt, womit sie ihre Eltern und ihre Schwester beeindrucken wollte. Jetzt allerdings, als sie den dunkel und schlicht gekleideten Syltern gegenüberstand, schämte sie sich ihres Wunsches, Aufsehen und Bewunderung zu erregen. Gut, dass sie auf Ludwig gehört und sich für ein schlichtes Reisekostüm aus einem zwar teuren, aber strapazierfähigen und damit vernünftigen Wollstoff entschieden hatte. Dunkelbraun wares und erinnerte mit keinem Accessoire an die Tango-Mode, die zurzeit in den Metropolen der letzte Schick war. Der taillenkurze Bolero, den sie über das schlichte Kleid gezogen hatte, wirkte anmutig und solide zugleich, dem Hut hatte sie auf Ludwigs Anraten vor ihrer Abreise die Federn abgenommen, ihre Stola war zwar aus einem feinen Wollstoff, aber zum Glück schlicht gearbeitet und kam ohne überflüssiges Beiwerk wie Nerzumrandung, Seidenbesatz oder kunstvolle Stickereien aus. Die Kälte in ihrem Innern löste sich allmählich, die Hitze auf ihren Wangen verging. Es war, als hätte sie soeben die Bühne betreten und damit ihr Lampenfieber überwunden.
    »Willkommen!«, rief ein Mann in ihrer Nähe.
    »Bravo!«, stimmte ein anderer ein, als hätte sie bereits ihre letzte Koloratur gesungen.
    Die meisten der Umstehenden hielten sich jedoch zurück und starrten Aletta nur neugierig an. Lediglich Getuschel und Gekicher waren zu hören, Frauen wiesen sich gegenseitig auf Alettas Erscheinung hin, auf Einzelheiten ihrer Garderobe und auf die drei Kofferträger, die mit ihrem Gepäck beladen waren. Männer starrten ihr nach und fixierten Ludwig mit wissenden Blicken.
    Erst als Aletta im Zug saß, kam Leben in die Menge. Nun drangen freundliche Rufe durchs Abteilfenster, es wurde gewinkt und gelacht. Einige drängten sich in die anderen Waggons, um mit ihr gemeinsam die Fahrt nach Westerland anzutreten, die meisten jedoch blieben an der Mole zurück.
    Zu Alettas Erleichterung übernahm Ludwig die Konversation mit dem Kurdirektor, und seine Frau ließ schnell erkennen, dass sie froh war, schweigen zu dürfen. Sie fühlte sich der Gegenüberstellung mit einer gefeierten Sängerin nicht gewachsen und gab es nach ein paar Allgemeinplätzen schnell auf, ein gemeinsames Gesprächsthema zu finden. Nachdem sie Platz genommen hatten, war aus Frau Wülfkes Mund einiges herausgesprudelt, was sie sich offenkundig vorher zurechtgelegt hatte, aber als von Aletta nur ein schwaches Echo zurückkam, fühlte sie sich nichtbewogen, das Gespräch in Gang zu halten. Dass die berühmte Sängerin aus dem Fenster sah und sich auf diese Weise von der Frau des Kurdirektors abwandte, machte es beiden leicht. Die Fahrt dauerte nur eine knappe Viertelstunde, es war also nicht viel Zeit zu überbrücken.
    Als die Inselbahn sich in Bewegung setzte, war der Abstand zu den Syltern, die zu Alettas Empfang an die Mole gekommen waren, groß genug, um sich mit einem freundlichen Winken dafür zu bedanken. Und der Abstand war ebenfalls groß genug, um nun doch heimlich nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten. Unterhalb
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