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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt
Autoren: Gisa Pauly
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angeblich einen Verwandtenbesuch in Hamburg. In Wirklichkeit mieteten sie sich in einer Pension in Buxtehude ein. Dort wollten sie auf die Geburt warten.« Zögernd fügte Aletta an: »Pension Kalkhoff.«
    Reinhard notierte sich diesen Namen zunächst ohne jede Gefühlsregung, dann zuckte er zusammen. »Kalkhoff? War das nicht der Hauptmann, der unter so merkwürdigen Umständen ums Leben kam? Wenn ich mich recht erinnere, wurden Sie sogar des Mordes verdächtigt.«
    Aletta lächelte. Reinhard Eichler hatte sich wirklich gut vorbereitet. »Auch er hat meine Mutter erpresst. Er hatte sie wiedererkannt, hatte gehört, dass ich Insas Schwester sei, erfahren, wie alt ich war ... und dann seine Schlüsse gezogen. Insa sollte ihm zu Willen sein, sonst wollte er aller Welt die Wahrheit erzählen.«
    »Es war also wirklich Notwehr«, murmelte Reinhard.
    »Es war auch Nothilfe. Als Kalkhoff meiner Mutter auf den Speicher nachgeschlichen war, sah er Sönke. Er wäre verloren gewesen.«
    »Und wie wurden Sie damals vom Mordverdacht befreit?«
    »Indem meine Mutter die Wahrheit sagte. Man musste ihr schließlich glauben. Es gab nur eine Verurteilung wegen Vertuschung einer Straftat.«
    Reinhard grinste. »Nicht nur für Insa Lornsen, wenn ich das richtig sehe, sondern auch für Sie und einen gewissen Jorit Lauritzen?«
    Nun lachte Aletta auf. »Stimmt! Aber wir kamen mit Geldund Bewährungsstrafen davon.«
    »Wo wird zukünftig Ihr Lebensmittelpunkt sein? Hamburg?
    Oder wieder Wien?«
    »Sylt natürlich. Hier hat mein Mann ein Hotel.«
    »Sie haben im zweiten Kriegsjahr geheiratet?«
    »Eine Doppelhochzeit. Meine Eltern haben mit uns zusammen am Traualtar gestanden.«
    »Warum haben Sie so lange gewartet?«
    »Wir wollten das Trauerjahr abwarten, wie es sich gehört. Mein Mann ist Witwer. Seine Frau starb in der Sturmnacht, in der unser Haus beinahe abgebrannt wäre.«
    »Die Nacht, in der Sönke um ein Haar entlarvt worden wäre.«
    Aletta lächelt wehmütig. »Zum Glück hat unsere Nachbarin ihn für ein paar Tage aufgenommen. Es stellte sich heraus, dass Hinrika Oselich längst mitbekommen hatte, dass wir einen Deserteur auf dem Speicher versteckten. Und ein paar Tage später konnten wir Sönke in einem Fischerboot aufs Festland bringen lassen. Die angespannte Versorgungssituation hatte den Inselkommandanten gezwungen, die Wattfischer wieder rausfahren zu lassen. Die Gemeindevorsteher mussten ihnen zwar politische Zuverlässigkeit bescheinigen, und bei Dunkelheit mussten sie zur Insel zurückkehren ...
    »... aber es gab einige unter ihnen, die sich gern etwas dazuverdienten?«
    »Einen!«, korrigierte Aletta. »Einen gab es, der ein Herz für Deserteure hatte. Der alte Johannsen. Sein Neffe war als Deserteur erschossen worden, und seine Schwester, die ihn versteckt hatte, sitzt seitdem im Gefängnis ...«

XIX.
    Am Abend vor der zweiten Vorstellung von »Don Giovanni« spürte sie, wie gut es ihr getan hatte, ihre Geschichte einem Menschen zu erzählen, der besonderen Anteil nahm, weil er sich dieser Geschichte aus einer anderen Richtung angenähert hatte. Sönke hatte in der Zimmerei Eichler in Elmshorn eine Heimat gefunden und Frauke gleich mit. Reinhard Eichler, der hoffnungsvolle Journalist, würde nicht über eine Geschichte berichten, die ihm fremd war, sondern über eine, mit der er sich verbunden hatte, indem er Sönke seine Freundschaft anbot.
    Aletta schloss die Augen, während ihr Gesicht gepudert wurde. Von Dirk Stobart hatte Reinhard Eichler nichts erfahren, von Weike und Boncke Broders auch nicht, Kai Stobarts Tod war ebenfalls mit keiner Silbe erwähnt worden. Davon hatte nicht einmal Ludwig etwas erfahren, und Jorit würde darüber auch im Unklaren bleiben. Das war der düstere Teil ihrer Geschichte, kein Geheimnis wie das ihrer Großmutter, das ans Licht geholt werden musste, damit ein Unrecht wiedergutgemacht werden konnte. Das Geheimnis um Dirk und Kai würde in ihrem Herzen bleiben. Hinter Schloss und Riegel.
    Die Tür öffnete sich, sie wusste, wer eintrat, ohne die Augen zu öffnen. Sie kannte seinen Geruch, wusste, wie weich seine Lippen waren und wie sanft seine Hände. »Toitoitoi«, flüsterte Jorit. »Und vergiss nicht: Ich liebe dich.«
    Sie öffnete die Augen und lächelte ihn an. »Wie könnte ich das vergessen?«
    Er zwinkerte ihr zu, dann verließ er ihre Garderobe wieder.
    Aletta war angefüllt mit Zärtlichkeit, als sie den langen Gang hinunterging, der direkt hinter der Bühne endete.
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