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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt
Autoren: Gisa Pauly
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trennte.
    Schließlich löste sie sich von ihm. »Tomma braucht dich. Steh ihr bei, was immer mit ihr geschieht.«
    »Wo gehst du hin?«
    Aletta wollte gerade die Achseln zucken, weil sie noch immer nicht wusste, wo sie die Nacht verbringen sollte, da wurde sie auf einen Schein aufmerksam, der im Osten über den Häusern aufstieg. Ein rötlicher Schimmer, dessen Farbe immer greller wurde, in dem Funken sprühten und sich rasend schnell Rauchschwaden türmten. Brandgeruch lag mit einem Mal in der Luft.
    »Es brennt! In der Stephanstraße!«
    Jorit macht ein paar Schritte auf das Feuer zu, aber Aletta hielt ihn zurück. »Du gehst zu Tomma! Sie ist jetzt wichtiger. Ich sehe nach.«
    Jorit nickte unglücklich, zögerte, weil er sie nicht allein lassen wollte, sah dann aber ein, dass seine Verpflichtung als Ehemann schwerer wog. »Pass auf dich auf«, stöhnte er, als Aletta loslief.
    Sie sah noch einmal zurück und rief gegen den Wind an: »Ich liebe dich, Jorit! Egal, was passiert!«
    Er bewegte den Mund, aber sie konnte ihn nicht verstehen. Trotzdem wusste sie, als sie auf die Maybachstraße zulief, dass er gesagt hatte: »Ich liebe dich auch.«
    Sie dachte nicht mehr daran, gesehen, erkannt und ein weiteres Mal verhaftet zu werden. So schnell sie konnte, lief sie dem Licht, dem Prasseln, den aufgeregten Stimmen entgegen.
    Bald blieb sie erleichtert stehen. Nein, ihr Elternhaus war es nicht, das in Flammen stand, auch nicht das Haus der Oselichs. Es war der neue Nachbar der Lornsens, dessen Haus brannte. Ein junger Familienvater, der dieses Haus kürzlich von seinem alten Onkel geerbt und daraufhin beschlossen hatte, im Rheinland alles aufzugeben, nach Sylt zu ziehen, sein Erbe anzutreten und in einem Hotel von Westerland sein Glück zu suchen. Die Familie rettete gerade ihr Hab und Gut, trug Möbel und Kisten aus dem Haus, von einigen Nachbarn unterstützt, von anderen nur ängstlich beobachtet, die es nicht wagten, sich dem brennenden Haus zu nähern.
    Jemand rief: »Die Feuerwehr kommt gleich! Kann nicht mehr lange dauern!«
    Aletta strich auf der gegenüberliegenden Straßenseite an einer Hauswand entlang und starrte den brennenden Giebel des Hauses an. Die beiden Wohnetagen schienen noch unversehrt zu sein, aber das Feuer fraß sich in Windeseile durch das Gebälk. Mit jedem Windstoß entstand ein neuer Brandherd. Wenn eine Sturmbö irgendwo eine Flamme ausgeblasen hatte, fachte sie an einer anderen Ecke einen neuen Feuersturm an.
    »Die Tochter ist mit einer Kerze auf den Speicher gegangen«, sagte jemand. »Dann huschte ein Mäuschen vor ihren Füßen her, sie hat sich erschrocken und die Kerze fallen lassen.«
    Ob Aletta wollte oder nicht, sie wurde Teil der Zuschauermenge, in der gerätselt, gemutmaßt und auch schon verurteilt wurde. Da alle Blicke auf das brennende Haus gerichtet waren, fand sie keine Beachtung, fürchtete aber, dass sich das schnell ändern konnte, sobald jemand bemerkte, dass sogar die berühmte Aletta Lornsen Anteil am Schicksal ihrer Mitmenschen nahm. Und wenn sich dann einer fand, der von ihrer Verhaftung erfahren hatte ...
    Sie wollte sich unauffällig verdrücken, da sagte jemand: »Moin, Frau Lornsen!«, und sah sie freundlich an. »Lange nicht gesehen!«
    Erleichtert grüßte sie zurück, wagte es nun, den Kopf zu heben und nach Insa Ausschau zu halten. Sie war nirgendwo zu sehen. Auch im Haus blieb alles ruhig. Anscheinend war Insa nicht daheim.
    »Vielleicht war das Brandstiftung«, schrie jemand. »Ich habe gerade gehört, dass jemand aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Also nehmt euch in Acht! So einem ist alles zuzutrauen.«
    Aletta zog den Kopf zwischen die Schultern. Bevor jemand wusste, dass eine Frau aus dem Gefängnis geflohen war, und bevor jemand erfuhr, dass es sich um Aletta Lornsen handelte, wollte sie lieber verschwunden sein. Der Brand in der Stephanstraßewürde Oberkommissar Henksen womöglich noch früher auf den Plan rufen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er hier auftauchte, um Insa nach ihrer Schwester zu fragen. Sie musste weg. Am besten suchte sie sich in einem Heuschober bei einem Bauern einen Platz zum Schlafen. Vielleicht in der Scheune, in der sie sich früher mit Jorit getroffen hatte?
    Unauffällig zog sie sich bis zur Wilhelmstraße zurück, die Schaulustigen fest im Blick, entschlossen, sofort zur reagieren, wenn jemand mit dem Finger auf sie zeigen und rufen sollte: »Da ist sie! Die Mörderin! Die aus dem Gefängnis geflohen ist!«
    Als sie
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