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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt
Autoren: Gisa Pauly
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an der Straßenecke angekommen war, blieb sie stehen. Nur einen flüchtigen Blick warf sie auf die Stelle, wo Hauptmann Kalkhoff gelegen hatte, meinte, noch erkennen zu können, wo sein Körper das Gras niedergedrückt hatte. Die dunklen Flecken konnten von seinem Blut stammen, die Fußspuren in der Umgebung von den Polizisten, die den Toten geborgen hatten. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. War es wirklich Notwehr gewesen? Oder hatte Kalkhoff etwas gegen Insa in der Hand gehabt, was so bedrohlich war, dass sie zu einem Mord fähig gewesen war? Aber würde sie sogar so weit gehen, ihre Schwester für diesen Mord büßen zu lassen?
    Aletta vergewisserte sich ein letztes Mal, dass in ihrem Elternhaus alles ruhig blieb, dass Insa nicht vor der Tür erschien und dass auch Hütten und Fritz nicht auf die Straße gelaufen kamen. Als nichts dergleichen geschah, entschloss sie sich, aus der Stadt zu verschwinden und sich irgendwo zu verstecken, wo Henksen sie nicht suchen würde. Den Sturm abwarten, Tommas Krise abwarten und abwarten, was geschehen würde, wenn Insa erfuhr, dass ihre Schwester sich nicht heimlich davongemacht hatte, sondern verhaftet worden war. Und dass sie einer Tat beschuldigt wurde, die Insa begangen hatte. Wie mochte Henksen reagieren, wenn ihm klarwurde, dass Insa nichts von dieser Verhaftung wusste? Aletta hatte Kommissar Wachsmann erklärt, sie habe ihre Schwester verständigt.
    Die Angst in Alettas Herz verstärkte sich. Sie musste weg! Und dann irgendwann Kontakt mit Insa aufnehmen, damit sie ihr alles erklären konnte. Zum Glück wusste Jorit nun Bescheid. Er würde zu Insa gehen, damit auch sie die Wahrheit erfuhr. Dann musste die große Schwester bereit sein, die kleine Schwester zu rehabilitieren. Und dann sollte Insa auch endlich einsehen, dass alle anderen Wahrheiten ebenfalls beim Namen genannt werden mussten. Prompt bemächtigte sich die Angst ihres ganzen Körpers. Aletta hatte nicht den Mut, auf Insas Verlässlichkeit zu vertrauen.
    Noch einmal blickte sie zurück ... und da sah sie es. Anscheinend war sie die Einzige, denn alle starrten auf ein Fenster der ersten Etage des brennenden Hauses, aus dem der Familienvater Kleidung und Wäsche warf, die von jenen Nachbarn aufgefangen und weggetragen wurden, die den Mut hatten, sich nah genug an das Haus heranzuwagen. Einige forderten den Nachbarn auf, endlich sein Haus zu verlassen und auf die Feuerwehr zu warten, andere riefen ihm Mut zu, und wieder andere warnten ihn. Niemand achtete auf das, was ganz oben, im Dachfirst des Hauses geschah. Dort hatte eine besonders starke Windbö Funken aufgewirbelt, die so weit geflogen waren, dass sie das Dach der Lornsens erreicht hatten. Winzige Flammen züngelten, dann wuchs eine Rauchsäule heran, die sich in der Nähe des Schornsteins bildete.
    »Nein«, flüsterte Aletta. »Oh, nein!«
    Ein Flämmchen schälte sich aus dem Rauch und züngelte weiter. Plötzlich war der Dachfirst eine leuchtend rote Spur. Und schon im nächsten Augenblick sprangen grellgelbe Spitzen hoch, die von Mal zu Mal höher emporschossen. Sönke! Er war dort oben eingeschlossen.
    Vergessen war alle Vorsicht! Sie musste die Speichertür aufschließen und Sönke aus dem Haus holen. Koste es, was es wolle! Wenn auch sein Leben in Gefahr war, sobald er sich an die Öffentlichkeit wagte! Sie würde ihn irgendwo im Garten versteckenund die Aufregung und den Tumult nutzen, um ihn wegzuführen. Sönke retten! Diese beiden Wörter explodierten in ihrem Kopf. Sönke retten, bevor alle anderen erkannten, dass auch das Haus der Lornsens in Brand geriet! Sönke retten, bevor die Feuerwehr kam. Sönke, Sönke, Sönke! Er durfte nicht sterben. Nicht Sönke, das hilflose Findelkind ...
    Sie lief auf das Haus zu, riss das Tor zum Vorgarten auf und rannte ums Haus herum. Als sie im Garten ankam, rieselte bereits Feuerregen vom Dach herab. Und dann hörte sie Sönke schreien! Er dachte nicht mehr daran, unentdeckt zu bleiben, in höchster Not schrie er um sein Leben. »Hilfe!«
    Sie sah, dass er sich an der Dachluke zu schaffen machte, aber anscheinend war er so in Panik, dass es ihm nicht gelang, sie zu öffnen.
    Aletta rannte in die Küche und von dort in den Flur. Sönkes Stimme wurde immer lauter. »Hilfe!«
    Aletta hetzte die Treppe hoch. Und richtig! Der Schlüssel steckte von außen in der Speichertür. »Sönke! Ich komme!«
    Sie entriegelte die Tür und stürmte die Treppe hoch. Sönke stand auf seinem gesunden Bein, hatte die
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