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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Autoren: Bill Bryson
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Heckfenster warf, erzielte man die Wirkung einer Bombe. Sie explodierte mit einem kleinen Knall und einer überraschend großen, blauen Stichflamme, was die Autos hinter uns zu amüsanten Ausweichmanövern zwang.
    Mein Dad auf dem meilenweit entfernten Vordersitz des Wagens wusste nie, was los war, und wunderte sich, weshalb die Fahrer der Autos, die uns überholten, den ganzen Tag wütend gestikulierten, bevor sie davonbrausten. »Was haben die bloß?«, wollte er dann jedes Mal gekränkt von meiner Mutter wissen.
    »Das weiß ich nicht, mein Schatz«, pflegte meine Mutter sanft zu antworten. Meine Mutter sagte immer nur zwei Dinge. Sie sagte: »Das weiß ich nicht, mein Schatz.« Und sie sagte: »Möchtest du ein Sandwich, Honey?« Wenn wir unterwegs waren, gab sie manchmal auch andere Kostproben ihrer Intelligenz, wie: »Wieso leuchtet die Lampe da auf dem Armaturenbrett, Schatz?« oder »Ich glaube, du hast den Hund/Mann/Blinden dahinten angefahren, Honey.« Doch meistens hielt sie klugerweise den Mund. Im Urlaub war mein Vater nämlich wie besessen. Hauptsächlich bestand seine Besessenheit darin, dass er an allen Ecken und Enden zu sparen versuchte. Er schleppte uns immer in die miesesten Hotels und Motels und in jene Art Gasthäuser, in denen nur einmal die Woche das Geschirr gespült wird. Mit etwas Gespür für das Unvermeidliche war klar, dass man beim Essen irgendwo auf dem Teller oder zwischen den Zinken der Gabel lauerndes, hart gewordenes Eigelb eines früheren Gastes entdecken würde. Das bedeutete natürlich Läuse und einen langen, qualvollen Tod.
    Doch das war noch das geringste Übel. Gewöhnlich wurden wir genötigt, irgendwo in der Nähe der Straße zu picknicken.
Mein Vater hatte einen sicheren Instinkt für schlechte Picknickplätze – den Parkplatz eines belebten Truckstops oder einen kleinen Park im Herzen eines bedenklich vernachlässigten Gettos, in dem sich Scharen von Kindern schweigend um unseren Tisch versammelten und zusahen, wie wir Kuchen und Kartoffelchips verdrückten. Außerdem wurde es jedes Mal unglaublich windig, sobald wir aus dem Auto stiegen, so dass meine Mutter die ganze Mittagspause damit verbrachte, auf einem Gelände von der Größe eines Fußballfeldes Papptellern hinterherzujagen.
    1957 investierte mein Vater 19,98 Dollar in einen tragbaren Gasofen, der vor jedem Gebrauch erst eine Stunde lang zusammengebaut werden musste. Der Ofen war dermaßen tückisch, dass wir Kinder nicht in die Nähe gelassen wurden, wenn er angezündet werden sollte. Diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich jedoch jedes Mal als unnötig, denn der Ofen flackerte nur für ein paar Sekunden und ging dann wieder aus. Auf der Suche nach einer windstillen Ecke schob mein Vater den Kocher stundenlang hin und her. Gleichzeitig redete er leise und aufgeregt auf ihn ein, in einer Weise, die man normalerweise eher bei Verrückten erwarten würde. Mein Bruder, meine Schwester und ich flehten ihn die ganze Zeit inständig an, mit uns in ein Restaurant mit Klimaanlage, Tischdecken und Wassergläsern voller klimpernder Eiswürfel zu gehen. »Dad«, bettelten wir, »du bist ein erfolgreicher Mann. Du verdienst viel Geld. Lass uns zu Howard Johnson’s gehen.« Aber er wollte nicht. Er war ein Kind der Weltwirtschaftskrise, und wenn es um Kapitalaufwand ging, zog er das Gesicht eines gehetzten Flüchtlings, der soeben in der Ferne Bluthunde gehört hat.
    Endlich, kurz vor Sonnenuntergang, drückte er uns kalte, rohe und nach Butangas riechende Hamburger in die Hand. Wir bissen einmal hinein und weigerten uns, mehr davon zu essen. An dieser Stelle verlor mein Vater gewöhnlich die Beherrschung, warf den ganzen Krempel ins Auto und beförderte uns
in rasantem Tempo in irgendein Restaurant am Straßenrand, in dem ein verschwitzter Mann mit Schlapphut Haschisch rauchte, während auf seinem Grill das Fett verbrannte. Anschließend würden wir schweigend, voller Bitterkeit und unbefriedigter Grundbedürfnisse die falsche Ausfahrt vom Highway nehmen, uns verfahren und in einem gottverfluchten Nest namens Draino, Indiana, oder Tapwater, Missouri, landen. Wir würden im einzigen Hotel am Platz absteigen – in einem jener heruntergekommenen Hotels, in denen man nur in der Lobby fernsehen kann, auf einem morschen Kunstledersofa, das man sich mit einem alten Mann mit gewaltigen Schweißflecken unter den Achseln teilen muss. Der alte Mann würde sehr wahrscheinlich einbeinig sein und vermutlich eine weitere bizarre
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