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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne
Autoren: Brigitte Riebe
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Stoffhaufen hinter der alten Mühle entströmte ein Gestank, der ihn zurückweichen ließ. »Zum Gotterbarmen!«, entfuhr es ihm. »Das riecht ja fürchterlich!«
    »Schlimmer als Schweinestall«, bekräftigte Matteo, der sich ebenfalls zum Schutz seinen Jackenärmel gegen die Nase presste. »Gut, dass selbst Siechenkobel nicht zu nah ist, sonst würden wegen uns noch mehr Leute krank! Ist ohnehin schon schwierig genug, jemand zum Sortieren zu finden. Viele kommen nur ein, zwei Tage, dann wieder Schluss. Heute war kaum jemand da. Nur ein paar Frauen und Kinder.«
    »Und die Männer? Blum und Sperling?«
    Der Welsche zuckte die Achseln.
    »Blum hat neue Arbeit bei Salzstadel«, sagte er. »Mehr Geld und weniger Gestank. Und Sperling will in Zukunft auch dort arbeiten. Schickt Frau als Ersatz vorbei. Aber Frau nicht so stark wie Sperling.«
    Heinrichs Gesicht verfinsterte sich.
    »Kein Blum und kein Sperling - willst du denn alles alleine machen? Wir brauchen dringend neue Arbeitskräfte!«
    »Schwierig, wenn Leute nix verstehen«, sagte Matteo. »Geht vielleicht für Lumpen, aber nicht gut für Gautschen, Schöpfen und Pressen.«
    »Das weiß ich«, sagte der Weltenpurger. »Aber kannst du mir mal verraten, wo ich hier in Regensburg ausgebildete Papierhandwerker hernehmen soll?«
    »Vielleicht wir besser nehmen Arbeiter aus Fabriano? Könnte meinen Bruder Andrea fragen ...«
    »Damit warten wir, bis die Pässe wieder frei sind. Und außerdem geben Fremde gleich wieder Gerede - das hast du doch am eigenen Leib erfahren! Ich werde die entsprechenden Stellen rechtzeitig informieren. Aber dann möchte ich auch, dass die Produktion wirklich anlaufen kann.« Sein Mund wurde weich. »Ich setze ganz auf die Zukunft, Matteo, verstehst du? Was immer auch geschieht, für mich heißt sie Pilar.«
    *
    Heinrich wollte gerade das Kontor verlassen, als Jona eintraf. Lachend streckte er seinem Besucher die Hände entgegen.
    »Überall Tintenspuren«, sagte er, »wie es sich für einen richtigen Pfeffersack gehört. Komm, lass uns nach oben gehen! Riechst du, wie das ganze Haus schon nach gebratener Gans duftet?« Er lud ihn nicht zum Essen ein - er wusste, dass Jona und seine Frau Tamar nur koschere Gerichte berührten, die er persönlich sehr schätzte. Er war immer gern Gast an ihrem Tisch gewesen, früher allerdings häufiger als in letzter Zeit.
    »Lass uns lieber hier reden«, sagte Jona und schälte sich aus seinem schweren Mantel. Die Kälte hatte seine Wangen gefärbt. Als er die Kappe ablegte, sah man, wie dicht sein grau melierter Schopf war. »Du weißt, dass ich mich in deiner chamer seit jeher am wohlsten gefühlt habe.« Seine Armbewegung schloss die Truhen, Schränke und die vier jetzt verwaisten Schreibpulte ein. Sogar Hirtz war schon nach Hause gegangen. Auf einem länglichen Eichentisch stand ein Abakus. Jona nahm ihn hoch, bewegte kurz die hellen und die dunklen Perlen auf dem Holzgestell hin- und her und stellte ihn wieder ab. »Erinnert mich daran, wie viele Stunden Simon und ich damals mit unseren Kalkulationen für die Stofflieferungen nach Kiew verbracht haben...«
    Als sei es erst gestern gewesen, stand alles wieder vor Heinrich: jene Glück verheißende Aufbruchszeit, als er, noch blutjung, mit Magdas Vater sowie den jüdischen Brüdern Jona und Simon ben Aaron nach Osten gefahren war, erfolgreiche, aufregende Jahre im Pelz-, Edelmetall- und Bernsteinhandel. Bis zu jener Schreckensnacht, als in einer dunklen Kiewer Gasse ein Dolchstoß das Leben seines Oheims ausgelöscht hatte. Die Narbe auf seiner Wange erinnerte ihn Tag für Tag daran. Er war damals dazwischengegangen, ohne auch nur einen Augenblick zu überlegen, mit dem Mut der Verzweiflung. Aber es war bereits zu spät gewesen ...
    »Du wirst bald wieder genügend zu planen und zu rechnen haben«, sagte Heinrich, »verlass dich drauf!«
    »Du weißt, in welche Gefahr du dich damit bringst?«, wandte Jona ein. »Wir sind Eigentum des Kaisers, ebenso wie unser ganzer Besitz ihm gehört. Werden wir nun Partner, so fällst du ebenfalls darunter - mit deinem gesamten Vermögen. Willst du dieses Risiko wirklich eingehen, Heinrich?«
    Da waren scharfe Linien in Jonas Gesicht, die Heinrich nie zuvor bemerkt hatte. Eines Tages wachst du auf und merkst plötzlich, dass du nicht mehr jung bist, dachte er, sondern zur anderen Seite gehörst. Wahrscheinlich geht es Jona nicht anders, wenn er mich ansieht.
    »Wir machen das Geschäft zusammen und damit Schluss
    - du
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