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Strandwoelfe

Strandwoelfe

Titel: Strandwoelfe
Autoren: Alexander Kent
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Seegang war ermüdend. Jede von achtern auflaufende See hob das kurze und gedrungene Schiff in die Höhe und ließ es sogleich ins nächste Wellental knallen, und dies seit nahezu zwölf Stunden. Die Zeit war ihnen jedoch weitaus länger erschienen.
    Einer der Rudergänger sagte müde: »West zu Nord, Sir.« Wie sie alle, wirkte auch er erschöpft und entmutigt.
    Sieben Glas ertönten von der Back. Bolitho ging rasch zur Luvreling und hielt sich dort fest, bevor der Kutter wieder eine seiner verrückten Schlingerbewegungen machte. In einer halben Stunde würde es Mittag sein, Mittag des Weihnachtstages. Aber dieser Tag bedeutete eine Menge mehr für seinen Bruder, ja vielleicht für sie alle. Möglicherweise war es nur eine törichte Geste gewesen, ein letzter, verzweifelter Versuch, das Geschick zu wenden. Sie hatten nichts gesichtet, nicht einmal einen übereifrigen Fischer, was allerdings am heutigen Tag auch kein Wunder war, dachte Bolitho verbittert.
    Er schielte durch den Regen, sein Magen rebellierte gegen die großzügige Rumration, die heute verteilt worden war. Das häufige Segeltrimmen und Überstaggehen hatten keine Möglichkeit gelassen, in der Kombüse Feuer zu machen und etwas Warmes zu kochen. Bolitho hatte beschlossen, nie wieder Rum zu trinken, wenn er es vermeiden konnte.
    Gloag hatte recht gehabt mit seiner Wettervorhersage, wie meistens. Der Regen fiel gleichmäßig stark und schnitt wie Eisnadeln in Gesicht und Hände. Als er schließlich doch etwas nachließ, kam ein seltsamer Dunst auf, der Himmel und See zu einem verschwommenen, grauen Vorhang verschmolz.
    Bolitho malte sich seine Mutter bei den Weihnachtsvorbereitungen aus. Die üblichen Besucher von den Höfen und Häusern der Umgebung waren jetzt sicherlich schon da. Man würde Vyvyans Abwesenheit bemerken. Alle würden Harriet Bolitho beobachten, ihr Fragen stellen… Er straffte sich, als er seinen Bruder wieder an Deck kommen hörte. Seit sie Falmouth verlassen hatten, war er kaum mehr als eine halbe Stunde unter Deck gewesen.
    Bolitho berührte grüßend seinen salzverkrusteten Hut. »Wind stetig, noch immer südlich, Sir.«
    Er hatte während der Nacht rückgedreht und kam nun nahezu von Backbord querab, das pralle Großsegel krängte die Avenge r bis zu den Leespeigatten.
    Gloags unförmige Gestalt löste sich von der Leereling, und er murmelte: »Wenn er auffrischt oder schralt, müssen wir wohl über Stag gehen.« Seine Stimme klang unwillig, als wolle er vermeiden, zu den Sorgen seines Kommandanten noch beizutragen, doch er wußte, daß er Verantwortung für alle trug. Bolitho beobachtete, wie sich Unentschlossenheit und Halsstarrigkeit in seinem Bruder einen erbitterten Kampf lieferten, was auf seinen vom Wind geröteten Gesicht deutlich zum Ausdruck kam. Der Kutter stand jetzt etwa zehn Seemeilen südlich des gefürchteten Kap Lizard, und wie Gloag gesagt hatte, befanden sie sich bei aufkommendem Sturm zu dicht unter der Leeküste. Das konnte unangenehm werden und war nur dann zu vermeiden, wenn sie rechtzeitig über Stag gingen.
    Hugh Bolitho trat an die Luvreling und starrte in den peitschenden Regen.
    Mehr zu sich selbst als zu den anderen sagte er: »Die verdammten Schufte! Jetzt haben sie mich endgültig erledigt.« Das Deck hob sich und glitt wieder nach unten. Die Leute fielen in nassen Bündeln durcheinander und fluchten trotz der drohenden Blicke ihrer Unteroffiziere. Bald mußten sie umkehren, sie waren ohnehin schon zu spät daran, um des Admirals Befehl pünktlich zu befolgen. Wenn Hugh die Umkehr noch weiter verzögerte, konnte der Wind ihm einen letzten üblen Streich spielen und ganz drehen, so daß sie zurück kreuzen mußten.
    Er blickte seinen jüngeren Bruder an und lächelte finster. »Du denkst zu viel, Richard, man sieht es dir an.«
    Bolitho versuchte, es mit einem Achselzucken abzutun. »Die Suchaktion war schließlich mein Vorschlag. Ich dachte nur…«
    »Mach dir keinen Vorwurf, es ist ohnehin beinahe vorüber. Zu Mittag werden wir umkehren. Im übrigen war es eine gute Idee.
    An jedem anderen Tag des Jahres würde hier im Kanal das übliche Gewimmel von Schiffen herrschen, dann wäre er so wenig zu finden gewesen wie eine Nadel im Heuhaufen. Aber am Weihnachtstag?« Er seufzte. »Wenn das Schicksal es ein bißchen besser gemeint und wir wenigstens gute Sicht gehabt hätten, wer weiß?« Lustlos fügte er hinzu: »Wir sollten besser noch einmal die Segel überprüfen, für den Fall einer plötzlichen
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