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Strandwoelfe

Strandwoelfe

Titel: Strandwoelfe
Autoren: Alexander Kent
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Heimaturlaub
    Schwankend und mit lautem Räderklappern kam die Postkutsche auf dem Hof des Gasthauses zum Stehen, und die kleine Gruppe müder Passagiere stieß Seufzer der Erleichterung aus. Es war Anfang Dezember des Jahres 1773, und Falmouth lag wie ganz Cornwall unter einer dichten Decke von Schnee und Matsch. Die Kutsche mit ihren vier von der raschen Fahrt dampfenden Pferden wirkte in dem schwachen Nachmittagslicht völlig farblos, so sehr war sie mit Schlamm bespritzt.
    Midshipman 1 Richard Bolitho sprang herab, dann blieb er stehen und starrte einige Zeit bewegungslos auf das ihm vertraute alte Gasthaus und die verwitterten Gebäude dahinter. Die Fahrt war mühselig gewesen: lediglich fünfundfünfzig Meilen von Plymouth bis hierher, aber sie hatten zwei volle Tage dafür gebraucht. Der Kutscher war sehr weit landeinwärts gefahren, beinahe bis zum Bodmin-Moor, um den über die Ufer getretenen River Fowey zu umgehen; auch hatte er sich wegen der schlechten Straßen strikt geweigert, bei Nacht zu fahren. Nach Bolithos Meinung fürchtete er sich jedoch mehr vor Straßenräubern als vor den wetterbedingten schlechten Wegverhältnissen. Die Gentleme n fanden es nämlich sehr viel bequemer, Kutschen auszurauben, die auf schlammigen, ausgefahrenen Wegen steckengeblieben waren, als einen Schußwechsel mit den scharfäugigen Wachen auf des Königs Landstraßen zu riskieren.
    Doch dann vergaß er die Reise, die geschäftig die Pferde ausspannenden Knechte und die Mitreisenden, die in die einladende Wärme des Gasthauses strömten, und genoß den Augenblick der Heimkehr.
    Es war genau ein Jahr und zwei Monate her, seit er Falmouth verlassen hatte, um in Spithead an Bord der Gorgo n zu gehen, eines Linienschiffes mit vierundsiebzig Geschützen. Jetzt lag sie in Plymouth zur dringend notwendigen Überholung und Instandsetzung, und er, Richard Bolitho, war zum wohlverdienten Urlaub nach Hause gekommen.
    Er reichte seinem Reisegefährten die Hand, als dieser jetzt zu ihm in den naßkalten Wind herab kletterte; Midshipman Martyn Dancer war am selben Tag an Bord der Gorgo n gekommen wie er selbst und ebenfalls siebzehn Jahre alt.
    »So, Martyn, wir sind am Ziel!«
    Bolitho lächelte, froh darüber, daß Dancer mit ihm gekommen war. Das Haus der Dancers lag in London und war völlig verschieden von dem der Bolithos, die seit Generationen Seeoffiziere waren. Dancers Vater dagegen war ein reicher Teehändler in der Londoner City. Aber auch wenn ihre Welten meilenweit auseinanderlagen, so stand ihm Martyn doch ebenso nahe, als sei er sein leiblicher Bruder.
    Als die Gorgo n vor Plymouth geankert hatte und die an Bord gekommene Post verteilt wurde, stellte Dancer fest, daß seine Eltern im Ausland weilten. Er schlug sofort vor, Bolitho solle mit ihm nach London kommen, aber der stets wachsame Erste Offizier der Gorgon , Mr. Verling, hatte kalten Tones gesagt: »Ich denke, das lassen Sie lieber. Allein in dieser Stadt – Ihr Vater würde mich dafür zur Rechenschaft ziehen!«
    So hatte Dancer bereitwillig Bolithos Einladung angenommen, was diesem insgeheim lieber war, brannte er doch darauf, seine Familie wiederzusehen und sich ihr mit all den Veränderungen vorzustellen, die vierzehn Monate harten Dienstes bei ihm bewirkt hatten. Genau wie sein Freund, war auch er magerer geworden – soweit dies überhaupt noch möglich war – und vor allem selbstsicherer. Auch war er dankbar dafür, daß er alle Stürme und Gefechte überlebt hatte.
    Der Kutscher berührte grüßend seinen Hut, nahm die Münzen, die Bolitho ihm in die Hand drückte, und sagte: »Seien Sie unbesorgt, Sir. Ich passe auf, daß der Wirt die Kisten zu Ihrem Haus bringen läßt.« Dabei zeigte er mit dem Daumen auf die bereits hell erleuchteten Fenster des Gasthauses. »Jetzt werde ich mich für ein Stündchen zu den Mitreisenden setzen, dann geht’s weiter nach Penzance.« Im Weggehen rief er: »Viel Glück, die jungen Herren!«
    Bolitho blickte ihm sinnend nach. So viele Bolithos waren hier schon ein- oder ausgestiegen, auf dem Weg zu Schiffen, die sie in ferne Länder bringen sollten, oder von weiter Reise heimgekehrt. Manch einer von ihnen war niemals mehr zurückgekommen.
    Er warf seinen blauen Umhang über die Schultern und sagte: »Laß uns gehen, das bringt das Blut wieder in Bewegung!«
    Dancer nickte zähneklappernd. Genau wie Bolitho, war er sonnengebräunt, und beide konnten sich nach gut einem Jahr an Afrikas Küsten noch nicht mit dem schroffen
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