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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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Buck Mulligan.« Kennedy atmete tief durch. Außer ihm waren Patrick, drei ihrer Cousins und Robin damit betraut, den Sarg ins Grab herabzulassen. Robin war nervös. Sie hatte Angst, ihr könnte das Seil aus der Hand rutschen. Obwohl die Kiste absurd leicht war, wenn man bedachte, dass das, was darin lag, mal seine Mutter gewesen war. Achtundzwanzig Kilogramm hatte sie am Ende gewogen. Robin stand ihm gegenüber, der kalte Wind trieb ihr die Tränen über die Wangen. Ihre Zungenspitze ragte ein klein wenig zwischen ihren Zähnen hervor – wie immer, wenn sie sich stark konzentrierte –, als sie das schwarze Seil vorsichtig durch ihre Finger gleiten ließ. Lange Schatten griffen nach dem Sargdeckel, der langsam in der Erde verschwand. Da ging sie hin, ins Unvermeidliche. Sie, mit der alles begonnen hatte, in deren Blick er zum ersten Mal die Liebe gesehen hatte. Er würde damit zurechtkommen. Mit der Schuld. Er würde einen Weg finden, damit zu leben, wie mit allem anderen auch. Jetzt, beim Anblick seiner Tochter, vermochte er das zu erkennen. Suizid, so ein wunderschöner Luxus. Aber hat man erst einmal Kinder, ist die Option gestrichen.
    Anschließend warfen die Enkel Blumen ins Grab, es regnete blassgelbe Rosenblätter auf den Sargdeckel. Der Priester dankte allen, dass sie gekommen waren, und lud sämtliche Trauergäste ein, sich der Familie zu einem Imbiss und Erfrischungen anzuschließen. In Patricks Haus war reichlich aufgetischt worden. Mit Schinken begraben, wie man in Irland sagt. Kennedy beobachtete, wie Millie mit Patricks Frau sprach – den Kopf geneigt, nickte sie teilnahmsvoll. Er legte Robin seinen Arm um die Schulter und sagte: »Machst du mit deinem alten Daddy einen kleinen Spaziergang?«
    Die beiden schlugen einen Pfad ein, der sie von den anderen Trauergästen wegführte, die alle dem Hauptweg des Friedhofs zum Parkplatz am Eingang folgten, wo der große schwarze Leichenwagen in der strahlenden Wintersonne glitzerte. Vater und Tochter bogen erst links, dann rechts ab und schlenderten durch die Reihen der reifbedeckten Grabsteine. Kennedy war selbst ein wenig überrascht, wie gut er sich hier nach so langer Zeit noch zurechtfand. Zehn Jahre immerhin. Vier, fünf, sechs Gräber noch, und sie waren da.
    GERALDINE MARR
    GELIEBTE TOCHTER & SCHWESTER
    1971–2003
    »Gegen dies Leben, diesen Tod«
    »Tante Gerry«, sagte Robin leise.
    Kennedy hatte das Zitat selbst ausgewählt – aus Yeats’ Gedicht »Ein irischer Flieger sieht seinen Tod voraus«. Seine Mutter hatte ihm diese Aufgabe überlassen. Kennedy schienen die Worte angemessen zu sein: einsame Impulse und umwölkte Tumulte, die Parallelen zwischen Yeats’ Kampfpiloten und dem Junkie. Oh ja, und auch dem Schriftsteller.
    »Kannst du dich überhaupt noch an sie erinnern?«, fragte Kennedy.
    »Eigentlich nicht. Ich glaube … wir haben sie einmal getroffen. In London?«
    »Stimmt. Das haben wir.«
    Im Winter 2001 hatte Kennedy sie zum Lunch in der Osteria an der Kensington Park Road eingeladen. Gerry war eben erst aus dem Gefängnis entlassen worden. Sie wollte nach Brighton, um »von vorn anzufangen«. Robin war damals vier und in Restaurants noch ein echter Albtraum gewesen. Er erinnerte sich daran, beim Kellner für sie ein Eis als Hauptgericht bestellt zu haben – pädagogisch betrachtet war das eine Katastrophe, aber die einzige Chance auf ein paar Minuten Ruhe.
    »Denkst du oft an sie, Dad?«
    Für Robin lag dieses gemeinsame Essen gefühlt eine ganze Lebensspanne zurück. Kennedy schien es, als wäre es erst letzte Woche gewesen. Gestern Vormittag.
    Er sah sie noch in ihrem kleinen beigefarbenen Parka mit dem Fellbesatz und den dazu passenden Fäustlingen. Millie hatte den grauen Kaschmirmantel von agnès b. getragen, den sie so mochte. Eines der ersten teuren Geschenke, die er ihr gemacht hatte. Er erinnerte sich, dass Gerrys Jacke für diese Jahreszeit viel zu dünn gewesen war. Dass sie übermüdet und mit dunklen Rändern unter den Augen über ihrem Teller mit dem dampfenden Risotto gesessen hatte. Sie hatte die Fähre von Dùn Laoghaire nach Holyhead genommen und war dann mit dem Bus weitergereist, einem dieser abgewrackten Arbeitslosenbomber, die an der Victoria Station hielten. Aber sie war voller Optimismus gewesen, hatte von einem Job in einer Bar, Überstunden und einem Freund gesprochen, »der vierhundert Euro die Woche macht, stell dir das vor, Kennedy!« Er erinnerte sich, wie sie nach dem Essen die Portobello Road
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