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Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)

Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)

Titel: Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)
Autoren: A.J. Hartley
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K A P I T E L 1

    Zuerst glaubte Darwen Arkwright, das Zwitschern käme aus den Lautsprechern und sei Teil einer kitschigen Hintergrundbeschallung – speziell entwickelte Waldgeräusche und dergleichen, die dafür sorgen sollten, dass dieses Einkaufszentrum inmitten der großen Stadt nicht ganz so sehr wie eine Betonburg wirkte. Aber dann sah er zu den Plastikzweigen über sich empor und entdeckte, versteckt in dem künstlichen Grün, einen winzigen Vogel. Ein Spatz vielleicht oder ein Fink, überlegte er, doch schon hatte er den Vogel wieder aus den Augen verloren. Er stand auf und versuchte seinem Ruf zu folgen.
    »Da bist du ja«, raunte er schließlich. Nun war er sich sicher, dass es sich um einen Spatz handelte. Der Vogel hockte ganz oben auf einer Topfpalme und zirpte so durchdringend, dass Darwen sich wunderte, wieso niemand außer ihm darauf aufmerksam geworden war.
    Darwen hatte schon öfter erlebt, dass Vögel sich in Einkaufszentren verirrten und nicht wieder hinausfanden, und er vermutete, dass sie dort sogar ganz gut überleben konnten, solange sie nicht gegen die großen Fensterflächen flogen – schließlich gab es dank der Cafés und Imbissbuden überall genug Essensreste, dafür aber keine Autos, mit denen sie zusammenstoßen konnten, und auch keine Falken oder Eulen, die Jagd auf sie machten. Trotzdem, Vögel gehören nicht in geschlossene Räume, dachte er. Sie waren Außenseiter – wie er –, kamen aber irgendwie zurecht.
    Der Vogelgesang wechselte in eine höhere Oktave und wurde noch lauter und schriller. Etwas Großes, Dunkles schoss unter der Glaskuppel des Einkaufszentrums dahin und hob sich deutlich vor dem hellen Himmel ab. Dieser größere Vogel – wenn es denn einer war – prallte mit dem kleinen zusammen, dass die Federn aufstoben. Der Spatz verstummte sofort, und Darwen sah, wie der Überlebende sich auf den Ast hockte und zu fressen begann.
    Raubvögel hatten Darwen schon immer fasziniert, und von daher fand er es irgendwie ziemlich cool, dass er diesen Angriff miterlebt hatte, auch wenn ihm der Spatz leidtat. Er ging ein paar Schritte, um den größeren Vogel besser beobachten zu können, und nun entdeckte er, dass dessen Kopf beinahe kahl war.
    Wie cool war das denn!
    Der Vogel bewegte sich ein wenig, schlang weitere Bissen seiner Mahlzeit hinunter und wandte den Kopf, um das Geschehen unter sich zu beobachten, wobei er die Flügel leicht spreizte. Er sah Darwen genau ins Gesicht. Und der wiederum wusste sofort, dass dieser Vogel noch viel weniger hierhergehörte als er selbst oder der Spatz. Und er sah auch, dass es sich gar nicht um einen Vogel handelte. Die Flügel dieses Wesens waren lederartig wie die einer Fledermaus, und es machte den Anschein, als ob es darunter noch ein Paar Arme besäße: Arme mit Händen, die in winzig kleinen Klauen ausliefen. Während der Körper zumindest zum Teil mit Fell bedeckt war, ähnelte sein Kopf weder einer Fledermaus noch einem Vogel.
    Es war ein menschliches Gesicht, jedenfalls ansatzweise. Ein menschliches Gesicht mit einem langen, gefährlich aussehenden Schnabel, an dem nun die Federn des Spatzen klebten. Darwen starrte das Wesen – von einem Vogel konnte ja nun nicht mehr die Rede sein – mit offenem Mund an, und in diesem Augenblick flog es wieder davon.
    Mit einem kraftvollen Schlag seiner ledernen Flügel erhob es sich von dem Baum, schoss pfeilschnell durch die Glaskuppel und flog in eine der Ladenpassagen.
    Darwen rannte ihm nach.
    Er war kaum zwanzig Meter weit gekommen, als er mit einer Frau zusammenstieß, die jede Menge Einkaufstüten trug.
    »Pass doch auf, wo du hinläufst!«, fuhr sie ihn empört an.
    »’tschuldigung«, murmelte Darwen, der noch immer zur Decke hinaufsah, wo das geflügelte Wesen, ohne den anderen Passanten aufzufallen, weiter seine Kreise zog.
    »Weißt du«, sagte ein Mädchen, das in dem Moment hinter den vielen Tüten auftauchte, »es ist ziemlich unhöflich, wenn man die Leute nicht ansieht, mit denen man redet.«
    Darwen senkte den Blick und wurde rot.
    »Stimmt«, sagte er. »Tut mir leid.«
    »Du solltest hier drinnen nicht so herumrennen«, sagte die Frau. »Sonst machst du noch was kaputt.«
    »Stimmt«, sagte Darwen wieder und guckte nach oben, dorthin, wo das Vogel-Fledermaus-Tier gewesen war. »Tut mir leid, ich muss …«
    Er drängte sich an ihnen vorbei, das Gesicht zur Decke erhoben, und als er wieder loslief, rief ihm das Mädchen laut nach: »Wie ungezogen!«
    Das Einkaufszentrum
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