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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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Hände gewesen waren, sein Griff, wenn er sein Bein umklammert oder ihn durchgekitzelt hatte. Sein Dad hatte es geliebt, mit ihnen zu toben, mit Patrick, Geraldine und ihm. Bald würde nur noch Patrick übrig sein. Ganz auf sich allein gestellt. Armer Patrick. Tut mir leid, Bruderherz. Samstagmorgens auf dem Wohnzimmerteppich, im Hintergrund lief das Kinderfernsehen. Zu dritt waren sie auf ihrem Dad herumgeklettert, sein Körper wie ein massiger Gebirgszug. Dads Hände waren immer rissig und verschrammt gewesen. Schwarze Fingernägel und mit schwarzem Isolierband »verbundene« Schnittwunden – die harte Arbeit forderte ihren Tribut.
    Kennedy war im Begriff, zu sterben, und hatte in seinem ganzen Leben keinen richtigen Job gehabt, geschweige denn einen Lebenslauf geschrieben. Unvorstellbar.
    Nach der Schule war er zur Universität gegangen, danach hatte Millie ihn ausgehalten. Mit siebenundzwanzig wurde sein Buch veröffentlicht, und mit dreißig war er Millionär. Seine Seele hatte sein ganzes Erwachsenenleben lang ihm allein gehört. Wenn man genug Geld verdiente, um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, musste man sich mit einer recht interessanten Frage herumschlagen: Was fing man mit dieser unvorstellbaren Freiheit an? Wie sich herausstellen sollte, nutzte Kennedy sie bevorzugt, um in Soho feiern zu gehen. Oder in Manhattan, Hollywood und Berlin um die Häuser zu ziehen, an Bars überteuerter Hotels und exklusiver Clubs rumzuhängen, Cocktails zu saufen, zu lachen, zu scherzen, zu streiten, zu prügeln und zu ficken. Schlechte Entscheidung. Ganz schlechte Entscheidung. Er hätte lieber mehr Kinder zeugen und sehr viel öfter mit ihnen rumhängen sollen. Samstagmorgens ihr Gebirgszug auf dem Wohnzimmerteppich sein sollen. Denn – und offensichtlich erkannte er die Wahrheit erst jetzt, als es zu Ende ging und sie ihm nichts mehr nutzte – bei Kindern zählte allein die Quantität. Dieser Qualitätsmist war für den Arsch. Wie all die geschiedenen Väter bewiesen, wenn sie mal wieder versuchten, Zoo, Aquarium, Museum und drei Restaurants in einen Tag zu quetschen, bis alle völlig erledigt waren und einander hassten. Kinder wollen lediglich, dass du in deinem Sessel sitzt, Zeitung liest und sie durchkitzelst, wenn du zum Herd gehst, um neuen Tee aufzusetzen. Sie wollen bloß, dass du da bist. Du brauchst gar nicht viel zu tun. Man musste sich nur diese Frauen und Kinder prügelnden Alkoholiker anschauen, wie sie stolz ihre »Bester Vater der Welt«-Tassen präsentierten. Ihre Kids liebten sie. Er hat ihn monatelang vermöbelt. Aber der Junge ist trotzdem ins Wohnzimmer gelaufen, um seinem Dad etwas zu zeigen, ihm etwas zu erzählen. Aufgeregt ist er zu Daddy gerannt. Zu Daddy, der sich um elf Uhr morgens seinen Billigwodka in die Rübe kippte. Der das kleine Köpfchen an der Wohnzimmerwand zu Klump schlug. O Patrick, wie hältst du das nur aus? Warum hast du dir nicht längst die Ohren abgerissen? Warum sitzt du noch nicht im Knast? Oder in der Klapsmühle?
    Jedes Buch war bloß das Wrack einer perfekten Idee. So manches Leben auch. Sein Leben. Denn er hatte alles falsch gemacht. Alles. Er hatte in die falschen Aktien investiert. Auf die falschen Pferde gesetzt. Die Gesichter seiner Dead White Males umkreisten ihn in der nächtlichen Dunkelheit, rotierten wie ein Kirmes-Fahrgeschäft: Bellow, Updike, Nabokov, Miller, Mailer, Hemingway, Faulkner, Fitzgerald, Amis.
    Jungs, ihr habt mich allesamt in die Irre geführt. Ich hätte auf die Mädchen hören sollen. Gebt mir noch eine Chance. Diesmal mache ich es richtig. Wer hätte das gedacht, hmm, Gerry? Du und ich, beide … du weißt schon. Wie ist es so da drüben, auf der anderen Seite? Nun, wir sind dabei, es herauszufinden. Tod, wo ist dein Stachel … jetzt komm schon, lass mich bis zum Ende meinen Mann stehen. Hier, nimm meine Hand, Bruder, Schwester. Die Probleme des dritten Aktes sind die Probleme des ersten … ach, drauf geschissen.
    Er schwang das andere Bein übers Geländer und stürzte sich vorwärts ins Nichts. Kalte Luft strich ihm über sein Gesicht, das Wasser stürmte ihm entgegen.
    Um ihn herum tobte weiter das Londoner Leben.

fünfzig
    Komm, Herzensbrecher
    Zehr am Rand des Abgrunds
    Stopf achtlos dir den Schlund. Wenn in der Tiefe
    Blinde Vögel quälend langsam kreisen.
    In unsern Rücken, die dürren Winde
    Kräfte lang getroffener Entschlüsse
    Die uns hier an diese
    Letzte Tafel führten.
    Die von mir begehrten Blumen
    Weit drüben,
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