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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
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hierher.«
    Edith schüttelte den Kopf und sah Stoner blinzelnd an.
    »Der alte Bill sieht viel besser aus«, sagte Finch. »Ehrlich, ich finde, er sieht viel besser aus als letzte Woche.«
    »Ach, Gordon«, erwiderte sie. »Er sieht schrecklich aus. Der arme Willy. Er wird nicht mehr lange bei uns sein.«
    Gordon wurde blass und wich einen Schritt zurück, als wäre er geschlagen worden. »Mein Gott, Edith!«
    »Nicht mehr lange«, wiederholte Edith und starrte bedrückt ihren Gatten an, der leise lächelte. »Was soll ich nur machen, Gordon? Was fange ich nur ohne ihn an?«
    Er schloss die Augen, und sie verschwanden; er hörte Gordon flüstern und vernahm ihre Schritte, als sie sich entfernten.
    Erstaunlich fand er, wie einfach es war. Er hatte Gordon sagen wollen, wie einfach es war, hatte ihm sagen wollen,dass es ihm nichts ausmachte, darüber zu reden oder daran zu denken, doch war er nicht dazu gekommen. Und jetzt schien es eigentlich nicht mehr wichtig zu sein; er hörte sie in der Küche reden, Gordons tiefe, drängende, Ediths zänkische, abgehackte Stimme. Worüber unterhielten sie sich nur?
    … Der Schmerz kam so unvermittelt, so überwältigend, dass er davon völlig überrascht wurde und beinahe laut aufgeschrien hätte. Er zwang seine Hände auf dem Laken, sich zu entspannen, und lenkte sie in stetiger Bewegung hinüber zum Nachtschränkchen. Dann nahm er mehrere Tabletten, steckte sie sich in den Mund und schluckte etwas Wasser. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er blieb reglos liegen, bis der Schmerz nachließ.
    Wieder hörte er Stimmen, schlug aber nicht die Augen auf. War es Gordon? Seine Hörfähigkeit schien sich aus ihm abzulösen, schien wie eine Wolke über ihm zu schweben und jeden noch so zarten Ton zu übertragen, nur konnte er zwischen den Wörtern nicht unterscheiden.
    Die Stimme – gehörte sie Gordon? – sagte etwas über sein Leben. Und obwohl er die Wörter nicht verstehen konnte, sich nicht einmal sicher war, dass sie wirklich ausgesprochen wurden, fiel sein eigener Verstand mit dem Ingrimm eines verletzten Tieres über diese Frage her. Unbarmherzig betrachtete er sein Leben, wie es anderen erscheinen musste.
    Sachlich, nüchtern sinnierte er, dass man sein Leben für gescheitert halten würde. Er hatte Freundschaft gewollt und freundschaftliche Nähe, die ihn im Schoß der menschlichen Gemeinschaft hielt; und er hatte zwei Freunde gehabt, der eine war sinnlos gestorben, ehe er ihn richtig kennenlernen konnte, der andere zog sich jetzt so weit in die Riege der Lebenden zurück, dass … Er hatte die Einzigartigkeit, diestille, verbindende Leidenschaft der Ehe gewollt; auch die hatte er gehabt und nicht gewusst, was er damit anfangen sollte, also war sie gestorben. Er hatte Liebe gewollt, und er hatte Liebe erfahren, sie aber aufgegeben, hatte sie ins Chaos des bloß Möglichen ziehen lassen. Katherine, dachte er. »Katherine.«
    Er hatte ein Lehrer sein wollen und war einer geworden, doch wusste er, hatte es immer gewusst, dass er über weite Strecken seines Lebens nur ein mittelmäßiger Lehrer gewesen war. Er hatte von einer Art Integrität geträumt, einer Art allumfassenden Reinheit, aber Kompromisse und die grellen Zerstreuungen des Trivialen gefunden. Er hatte Weisheit erstrebt und am Ende langer Jahre Unwissenheit erlangt. Und was noch?, dachte er. Was noch?
    Was hast du denn erwartet, fragte er sich.
    Er schlug die Augen auf. Es war dunkel. Dann sah er den Himmel draußen, das dunkle Blauschwarz des Weltalls und einen schwachen, wolkenverhangenen Schimmer Mondlicht. Es muss sehr spät sein, dachte er, dabei schienen Gordon und Edith doch erst vor einem Augenblick in hellem Nachmittagslicht neben ihm gestanden zu haben. Oder war das länger her? Er konnte es nicht sagen.
    Er hatte gewusst, dass der Verstand nachließ, wenn der Körper schwächer wurde, trotzdem war er nicht darauf gefasst gewesen, dass es so schnell gehen würde. Das Fleisch ist stark, dachte er, stärker als wir glauben. Es will immer weiterleben.
    Er hörte Stimmen, sah Lichter und spürte den Schmerz kommen und gehen. Ediths Gesicht schwebte über ihm; er merkte, dass er lächelte. Manchmal hörte er seine Stimme und meinte, vernünftig zu reden, konnte sich aber nichtsicher sein. Er fühlte Ediths Hände, fühlte, wie sie ihn umdrehte, ihn wusch. Sie hat ihr Kind wieder, dachte er; endlich hat sie ihr Kind, um das sie sich kümmern kann. Er wünschte, er könnte mir ihr reden; er merkte, dass
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