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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
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auf, die Leute verteilten sich im Saal. Stoner merkte, dass man ihm die Hand schüttelte, er spürte, wie er lächelte und zu allem nickte, was ihm gesagt wurde. Der Präsident drückte seine Hand, strahlte ihn freundlich an, sagte, er müsse mal vorbeikommen, nachmittags, wann immer, blickte auf die Uhr und eilte davon. Der Saal begann sich zu leeren, und Stoner stand allein dort, wo er sich von seinem Platz erhoben hatte, und sammelte nun alle Kraft, um nach draußen zu gehen. Er wartete, bis er sich bereit fühlte, dann trat er um den Tisch herum und ging aus dem Saal, vorbei an kleinen Menschentrauben, aus denen heraus man ihn so neugierig anstarrte, als wäre er bereits ein Fremder. Lomax stand in einer dieser Gruppen, drehte sich aber nicht um, als Stoner vorbeiging, und Stoner fühlte,wie dankbar er war, dass sie nach all dieser Zeit nicht miteinander reden mussten.
    *
    Am nächsten Tag ging er ins Krankenhaus und ruhte sich aus; die Operation war für Montag früh angesetzt. Bis dahin schlief er viel und interessierte sich nicht besonders für das, was mit ihm passieren sollte. Am Montagvormittag gab ihm dann jemand eine Spritze in den Arm; und er war bloß halb bei Bewusstsein, als er durch die Flure in einen seltsamen Raum geschoben wurde, der nur aus Licht und hoher Decke zu bestehen schien. Er sah, wie sich etwas auf sein Gesicht senkte, und er schloss die Augen.
    Als er wieder wach wurde, war ihm übel, der Kopf tat ihm weh, und in seinem Unterleib spürte er einen neuen, heftigen, aber nicht unangenehmen Schmerz. Er übergab sich, fühlte sich besser und ließ die Hand über den dicken Verband wandern, der seine Körpermitte bedeckte. Dann schlief er ein, wachte nachts auf, trank ein Glas Wasser und schlief bis zum Morgen.
    Als er erneut wach wurde, stand Jamison an seinem Bett, die Finger an seinem linken Handgelenk.
    »Nun«, sagte Jamison, »wie fühlen wir uns heute Morgen?«
    »Ganz gut, glaube ich.« Seine Kehle war trocken, er streckte eine Hand aus, und Jamison reichte ihm ein Glas Wasser. Er trank, schaute Jamison an und wartete.
    »Also«, begann Jamison schließlich unbehaglich. »Wir haben den Tumor. Ein mächtiger Brocken. In ein, zwei Tagen werden Sie sich deutlich besser fühlen.«
    »Kann ich dann gehen?«, fragte Stoner.
    »In zwei, drei Tagen können Sie aufstehen und herumlaufen«, sagte Jamison. »Allerdings wäre es praktischer, wenn Sie noch eine Weile blieben. Wir konnten nicht … alles entfernen. Wir wollen es deshalb mit einer Bestrahlung versuchen. Natürlich könnten Sie jedes Mal herkommen, aber …«
    »Nein«, sagte Stoner und ließ den Kopf aufs Kissen sinken. Er war wieder müde. »Ich glaube«, sagte er, »ich will so bald wie möglich nach Hause.«

XVII
    »ACH, WILLY«, SAGTE SIE . – »Du wirst von innen ganz aufgefressen.«
    Er lag auf dem Ruhebett im kleinen Hinterzimmer und starrte aus dem offenen Fenster; es war spät am Nachmittag, und die Sonne, die langsam hinterm Horizont versank, färbte die Unterseite eines langgezogenen Wolkenbandes, das sich im Westen über Baumwipfeln und Hausdächern erstreckte, glutrot. Eine Fliege summte gegen das Glas, und in der windstillen Luft hing der beißende Geruch von Abfall, der im Garten nebenan verbrannt wurde.
    »Was?«, fragte Stoner zerstreut und drehte sich zu seiner Frau um.
    »Von innen«, sagte Edith. »Der Arzt sagt, es hätte sich schon überall ausgebreitet. Ach, Willy, armer Willy.«
    »Ja«, sagte Stoner, konnte aber kein rechtes Interesse aufbringen. »Mach dir keine Sorgen. Am besten denkst du gar nicht dran.«
    Sie gab keine Antwort, also wandte er sich wieder dem offenen Fenster zu und sah den Himmel dunkel werden, bis bloß noch eine ferne Wolke einen matten purpurnen Streifen zeigte.
    Seit etwas mehr als einer Woche war er wieder zu Hause und gerade erst am Nachmittag von einem Besuch im Krankenhauszurückgekommen, wo er sich dem unterzogen hatte, was von Jamison mit bemühtem Lächeln eine ›Behandlung‹ genannt worden war. Jamison hatte gestaunt, wie schnell der Einschnitt verheilte, und gesagt, dass er die Konstitution eines Vierzigjährigen besitze, um dann abrupt zu verstummen. Stoner hatte zugelassen, dass man ihn abtastete und befingerte, hatte sich auf ein Bett schnallen lassen und stillgehalten, während eine riesige Maschine lautlos über ihm schwebte. Es war eine Torheit, das wusste er, doch beklagte er sich nicht; das wäre unhöflich gewesen. Was er über sich ergehen ließ, war
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