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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
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vor den anderen und ging über die dunklen Flure nach draußen, durch die stillen Straßen nach Hause.
    Die Lichter brannten, Edith war noch auf. Er raffte seine letzte Kraft zusammen, stieg die Eingangsstufen hinauf und ging ins Wohnzimmer. Dann spürte er, weiter konnte er nicht, er schaffte es gerade noch bis zum Sofa und setzte sich. Nach einer Pause fühlte er sich stark genug, in seine Westentasche nach dem Röhrchen mit den Tabletten zu greifen. Er schob sich eine in den Mund und schluckte sie ohne Wasser, dann nahm er noch eine. Sie schmeckten bitter, aber er fand ihre Bitterkeit beinahe angenehm.
    Ihm wurde bewusst, dass Edith im Zimmer auf und ab ging, von einer Stelle zur anderen; und er konnte nur hoffen, dass sie nicht mit ihm geredet hatte. Als der Schmerz nachließ und er sich wieder ein wenig kräftiger fühlte, wurde ihm klar, dass sie kein Wort gesagt hatte; ihr Gesicht war zur Maske erstarrt, der Mund verkniffen, und sie ging mit steifen, ärgerlichen Schritten.
    Er wollte mit ihr reden, entschied aber, dass er seiner Stimme nicht trauen konnte. Verwundert fragte er sich, warum sie sich ärgerte; sie hatte schon lange nicht mehr so aufgebracht ausgesehen.
    Schließlich blieb sie stehen und wandte sich zu ihm um, die Hände zu Fäusten geballt, die Arme hingen herab. »Und? Hast du mir nichts zu sagen?«
    Er räusperte sich und konzentrierte seinen Blick. »Tut mir leid, Edith.« Die Stimme klang leise, aber kräftig. »Ich fürchte, ich bin ein bisschen müde.«
    »Du hättest mir überhaupt nichts gesagt, oder? Rücksichtslos.Findest du nicht, dass ich das Recht habe, Bescheid zu wissen?«
    Einen Moment lang war er verwirrt. Dann nickte er. Wäre er kräftiger gewesen, wäre er jetzt wütend geworden. »Wie hast du es herausgefunden?«
    »Das ist doch jetzt egal. Ich schätze, alle wissen es, nur ich nicht. Ach, Willy, also wirklich.«
    »Tut mir leid, Edith, ehrlich. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst, und es dir deshalb erst nächste Woche sagen, kurz vor dem Eingriff. Es ist ja nichts Schlimmes, du musst dich deshalb nicht beunruhigen.«
    »Nichts Schlimmes?« Sie lachte verbittert. »Man sagt, du hast Krebs. Weißt du nicht, was das bedeutet?«
    Er fühlte sich plötzlich schwerelos und musste an sich halten, um sich nicht an etwas festzuklammern. »Edith«, sagte er mit einer Stimme wie von weit her, »lass uns morgen darüber reden. Bitte. Ich bin sehr müde.«
    Einen Moment lang sah sie ihn an. »Brauchst du Hilfe, um in dein Zimmer zu kommen?«, fragte sie mürrisch. »Du siehst nicht so aus, als würdest du es allein schaffen.«
    »Es geht schon«, sagte er.
    Doch kurz bevor sie das Zimmer verließ, wünschte er sich, er hätte sich helfen lassen – nicht nur, weil er sich schwächer als vermutet fühlte.
    Samstag und Sonntag ruhte er sich aus, und Montag konnte er wieder seine Seminare halten. Er ging früh nach Hause, legte sich aufs Wohnzimmersofa und betrachtete interessiert die Decke, als es klingelte. Er setzte sich auf und wollte schon zur Tür gehen, als die Tür geöffnet wurde und Gordon Finch hereinkam. Sein Gesicht war blass, die Hände zitterten.
    »Komm rein, Gordon«, sagte Stoner.
    »Mein Gott, Bill«, sagte Finch. »Warum hast du mir nichts gesagt?«
    Stoner lachte kurz auf. »Offenbar hätte ich es ebenso gut in der Zeitung annoncieren können«, sagte er. »Und ich dachte, ich könnte es in aller Stille angehen, ohne jemanden aufzuregen.«
    »Ich weiß, aber – mein Gott, wenn ich das gewusst hätte.«
    »Kein Grund, sich aufzuregen. Noch steht nichts fest – es ist bloß eine Operation. Ein explorativer Eingriff, heißt es, glaube ich. Wie hast du davon erfahren?«
    »Jamison«, sagte Finch. »Er ist auch mein Arzt. Er sagte, es verstoße zwar gegen seine Berufsethik, meinte aber, ich sollte es wissen. Und er hat recht, Bill.«
    »Ich weiß«, erwiderte Stoner. »Ist ja auch egal. Hat es sich denn schon rumgesprochen?«
    Finch schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
    »Dann erzähle es auch nicht weiter. Bitte.«
    »Sicher«, antwortete Finch. »Und was dieses Dinner am Freitag angeht – du musst das nicht mitmachen, das weißt du.«
    »Ich will aber«, sagte Stoner und grinste. »Schätze, ich bin Lomax was schuldig.«
    Die Andeutung eines Lächelns huschte über Finchs Gesicht. »Du bist wirklich ein zänkischer alter Esel geworden, findest du nicht?«
    »Ich fürchte, das stimmt«, sagte Stoner.
    *
    Das Dinner fand in einem kleinen Speisesaal im Haus des
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