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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
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murmeln zu hören, und spürte, dass ihm sein dümmliches Lächeln immer noch im Gesicht klebte.
    »Nun ja«, sagte Finch, »ich denke, es ist nicht zu spät. Gleich morgen kümmere ich mich um den Papierkram. Du weißt über Jahreseinkommen, Versicherung und so weiter sicher Bescheid, oder?«
    »Natürlich«, sagte Stoner. »Ich habe es mir angesehen. Alles in Ordnung.«
    Finch schaute auf seine Uhr. »Ich bin ein bisschen spät dran, Bill. Komm in ein, zwei Tagen vorbei, und wir klären die Details. In der Zwischenzeit – nun, ich denke, Lomax sollte Bescheid wissen. Ich rufe ihn heute Abend noch an.« Er grinste. »Ich fürchte, es wird dir gelingen, ihn glücklich zu machen.«
    »Ja«, sagte Stoner. »Das fürchte ich auch.«
    In den zwei Wochen, die ihm bis zur Einlieferung ins Krankenhaus blieben, gab es viel zu erledigen, doch war er davon überzeugt, es schaffen zu können. Für die nächsten beiden Tage sagte er seine Seminare ab und bat alle Studenten, die er bei ihrer unabhängigen Recherche, ihren Arbeiten undDissertationen betreuen sollte, in seine Sprechstunde. Er schrieb detaillierte Anweisungen, wie sie ihre Aufgaben ohne ihn zu Ende bringen konnten, und hinterließ einen Durchschlag dieser Instruktionen in Lomax’ Brieffach. Er tröstete alle, die in Panik gerieten, weil sie sich von ihm im Stich gelassen glaubten, und beruhigte jene, die Angst davor hatten, sich einem anderen Professor anzuvertrauen. Er fand heraus, dass die Tabletten nicht nur den Schmerz linderten, sondern auch sein Denkvermögen trübten, weshalb er sie tagsüber, wenn er mit den Studenten redete, und abends, wenn er sich durch die Flut halbfertiger Aufsätze, Thesenpapiere und Dissertationen arbeitete, nur dann nahm, wenn der Schmerz so heftig wurde, dass er ihn von der Arbeit ablenkte.
    Zwei Tage nachdem er seine Absicht verkündet hatte, in den Ruhestand gehen zu wollen, erhielt er mitten am Nachmittag, als er bis über beide Ohren in Arbeit steckte, einen Anruf von Gordon Finch.
    »Bill? Gordon hier. Hör mal – es gibt da ein kleines Problem, über das wir reden sollten.«
    »Ja?«, fragte er ungeduldig.
    »Es geht um Lomax. Es will ihm nicht in den Kopf, dass du diese Entscheidung aus eigenen Gründen gefällt hast.«
    »Das macht nichts«, sagte Stoner. »Soll er denken, was er will.«
    »Warte – das ist noch nicht alles. Er plant, das feierliche Dinner mit allem Brimborium zu veranstalten. Er sagt, er hätte sein Wort gegeben.«
    »Hör mal, Gordon, ich habe gerade sehr viel zu tun. Kannst du ihn nicht irgendwie davon abbringen?«
    »Ich habe es versucht, aber es läuft über den Fachbereich. Wenn du willst, dass ich ihn zu mir bestelle, werde ich dastun, aber dann musst du auch da sein, denn wenn er so wie jetzt ist, kann ich nicht mit ihm reden.«
    »Na schön. Und wann soll dieser Unsinn stattfinden?«
    Gordon Finch schwieg. »Freitag in einer Woche. Am letzten Unterrichtstag, direkt vor Beginn der Examenswoche.«
    »Also gut«, sagte Stoner müde. »Bis dahin sollte ich meine Sachen erledigt haben, und es dürfte leichter sein, dem Essen zuzustimmen, als jetzt dagegen vorzugehen. Lassen wir den Abend einfach auf uns zukommen.«
    »Das solltest du auch noch wissen: Er möchte, dass ich deine Emeritierung bekanntgebe, obwohl sie offiziell erst ab nächstem Jahr gilt.«
    Stoner spürte ein Lachen in sich aufsteigen. »Ach, was soll’s«, sagte er. »Auch das geht in Ordnung.«
    Die ganze Woche arbeitete er ohne Zeitgefühl. Von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends arbeitete er bis zum Freitag durch, las eine letzte Seite, machte eine letzte Notiz und lehnte sich dann in seinem Sessel zurück. Das Licht der Schreibtischlampe leuchtete ihm in die Augen, und einen Moment lang wusste er nicht, wo er war. Er blickte sich um und sah, dass er in seinem Büro saß. Die Regale quollen mit wahllos eingestellten Büchern über, in den Ecken türmten sich Papierstapel, und sein chaotischer Aktenschrank stand weit offen. Ich sollte hier ein bisschen aufräumen, dachte er, ich sollte meine Angelegenheiten in Ordnung bringen.
    »Nächste Woche«, sagte er sich. »Nächste Woche.«
    Er fragte sich, ob er es bis nach Hause schaffen würde. Selbst das Atmen fiel ihm schwer. Er konzentrierte sich, dachte nur an seine Arme und Beine, zwang sie, zu reagieren, stand auf und ließ nicht zu, dass er schwankte. Er knipstedie Schreibtischlampe aus und blieb stehen, bis er das Mondlicht durch die Fenster fallen sah. Dann setzte er einen Fuß
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