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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
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Studentenwerks statt. Im letzten Augenblick hatte Edithentschieden, den Abend nicht durchstehen zu können, also ging er allein. Er brach früh auf und schlenderte gemächlich über den Campus, als ginge er an einem Frühlingsnachmittag spazieren. Es war noch niemand dort, womit er gerechnet hatte, und er bat den Kellner, die Platzkarte seiner Frau zu entfernen und den Tisch so herzurichten, dass kein freier Platz übrig blieb. Dann setzte er sich und wartete auf die Ankunft der Gäste.
    Der Saal füllte sich rasch; Mitglieder der Fakultät, die seit Jahren nicht mit Stoner geredet hatten, winkten ihm zu, und er nickte. Finch sagte wenig, behielt Stoner aber besorgt im Auge; der neue, noch junge Präsident, dessen Namen Stoner sich einfach nicht merken konnte, sagte etwas in leicht respektvollem Ton.
    Das Essen wurde von jungen Studenten in weißer Livree serviert, von denen Stoner einige kannte, weshalb er ihnen zunickte und sich mit ihnen unterhielt. Die Gäste blickten zunächst bekümmert auf ihre Teller und begannen zu essen. Dann übertönte das fröhliche Klirren von Besteck und Porzellan die Gespräche, die sich langsam entspannten, und Stoner wusste, dass man seine Anwesenheit fast vergessen hatte, weshalb er ein wenig in seinem Essen herumstochern konnte, ein paar Anstandsbissen nahm und sich dann umschaute. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er keine Gesichter erkennen, er sah nur wie in einem Rahmen Farben und verschwommene Konturen, die von einem zum nächsten Moment Muster gebändigter Bewegung bildeten. Es war ein erfreulicher Anblick, und wenn er seine Aufmerksamkeit in ganz bestimmter Weise darauf lenkte, spürte er keinen Schmerz.
    Plötzlich war es still, und er schüttelte den Kopf, als würdeer aus einem Traum aufschrecken. Fast am Ende des langen Tisches hatte sich Lomax erhoben und klopfte mit dem Messer ans Wasserglas. Ein attraktiver Kopf, sinnierte Stoner, immer noch attraktiv. Die Jahre hatten das lange, schmale Gesicht noch schmaler werden lassen, und die Falten glichen eher Verweisen auf eine gewachsene Sensibilität als Andeutungen des Alters. Das Lächeln war wie immer sardonisch vertraut und die feste Stimme so wohlklingend wie eh und je.
    Er redete; Stoner verstand nur Satzfetzen, als drängte die Stimme, die sie hervorbrachte, aus der Stille herauf, um dann wieder in ihrem Ursprung auszuklingen. »… die langen Jahre aufopferungsvoller Tätigkeit … wohlverdiente Ruhe von den Mühen … von Kollegen geschätzt …« Er hörte die Ironie und wusste, dass Lomax nach all den Jahren auf seine Weise zu ihm redete.
    Ein kurzer Applaus brandete auf und riss ihn aus seinen Träumereien. Neben ihm erhob sich Gordon Finch und begann zu reden. Obwohl Stoner ihn ansah und die Ohren spitzte, verstand er nicht, was Finch sagte: Gordons Lippen bewegten sich, er schaute starr vor sich hin, Applaus, er setzte sich. Ihm gegenüber erhob sich dann der Präsident und redete in einem Ton, der von Schmeichelei zu Drohung schwankte, von Scherz zu Trauer, von Kummer zu Freude. Er sagte, er hoffe, Stoners Ruhestand würde ein Anfang und kein Ende sein; er wisse, dass seine Abwesenheit die Universität ärmer mache, wisse, dass Tradition wichtig sei, aber die Notwendigkeit zu Veränderungen bestünde, und er redete von der Dankbarkeit in den Herzen all seiner Studenten, mit der sie gewiss noch viele Jahre an ihn denken würden. Stoner konnte sich keinen Reim auf das machen, was er sagte, doch als der Präsident endete, brach im Saal Applausaus; die Gesichter lächelten. Kaum ließ der Beifall nach, rief jemand mit dünner Stimme aus der Menge: »Eine Rede!« Jemand anderes stimmte in den Ruf ein, und noch der eine oder andere murmelte die Aufforderung.
    Finch flüsterte ihm ins Ohr: »Soll ich dich entschuldigen?«
    »Nein«, sagte Stoner. »Ist schon in Ordnung.«
    Er stand auf und merkte, dass er nichts zu sagen wusste. Also schwieg er lange, blickte von Gesicht zu Gesicht und hörte dann seine tonlose Stimme sagen: »Ich habe gelehrt …« Er fing noch einmal an. »Fast vierzig Jahre habe ich an dieser Universität gelehrt. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ich kein Professor geworden wäre. Wenn ich nicht gelehrt hätte, dann hätte ich …« Er verstummte, als ob ihn etwas ablenkte. Dann schloss er mit großer Bestimmtheit: »Ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass ich hier lehren durfte.«
    Er setzte sich. Es gab Applaus und freundliches Gelächter. Die Sitzordnung löste sich
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