Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
Vom Netzwerk:
jetzt«, sagte sie leise. »Du musst dich ausruhen.«
    Und das war ihr Abschied. Am nächsten Tag kam sie, um ihm zu sagen, dass sie für einige Tage nach St. Louis zurückmüsse, und sagte noch etwas mit tonloser, beherrschter Stimme, was er nicht verstand, das Gesicht verhärmt, die Augen feucht und rot. Ihre Blicke begegneten sich; sie musterte ihn lange, beinahe ungläubig, dann wandte sie sich ab. Er wusste, dass er sie nicht wiedersehen würde.
    Er hatte keine Lust zu sterben, doch gab es nach Grace’ Abfahrt Augenblicke, in denen er es kaum mehr erwarten konnte, so wie man vielleicht dem Moment des Aufbruchs zu einer Reise entgegensieht, die man nicht besonders gern antritt. Und wie jeder Reisende glaubte er, noch viel zu tun zu haben, ehe er aufbrechen könne, nur wusste er nicht, was das sein sollte.
    Er war so schwach geworden, dass er nicht mehr gehen konnte, und so verbrachte er seine Tage und Nächte in dem winzigen Hinterzimmer. Edith holte ihm die Bücher, um die er bat, und legte sie so auf einen Tisch neben seinem schmalen Bett, dass er sich nicht anstrengen musste, wenn er danach griff.
    Auch wenn er nur wenig darin las, fand er die Nähe der Bücher tröstlich, und er bat Edith, die Vorhänge vor allen Fenstern aufzuziehen. Er wollte auch nicht, dass sie wieder zugezogen wurden, selbst dann nicht, wenn die warme Nachmittagssonne schräg ins Zimmer fiel.
    Manchmal kam Edith, setzte sich zu ihm aufs Bett, und sie unterhielten sich. Sie unterhielten sich über Belangloses – über Leute, die sie nur flüchtig kannten, über ein neues Gebäude, das auf dem Campus errichtet, ein altes, das abgerissen werden sollte, doch schien es unwichtig, was sie sagten. Eine neue Ruhe breitete sich zwischen ihnen aus, eine Stille, die wie der Beginn einer Verliebtheit war, und beinahe ohne nachzudenken wusste Stoner, warum sie gekommen war.Sie hatten sich das Leid vergeben, das sie einander zugefügt hatten, und betrachteten selbstversunken, was aus ihrem gemeinsamen Leben hätte werden können.
    Beinahe ohne Bedauern sah er sie jetzt an, und im sanften Licht des späten Nachmittags wirkte ihr Gesicht jung und faltenfrei. Wäre ich stärker gewesen, dachte er, hätte ich mehr gewusst, hätte ich mehr begriffen. Und schließlich, mitleidlos, setzte er hinzu: Hätte ich sie nur mehr geliebt. Als müsste sie eine weite Entfernung zurücklegen, schob sich seine Hand über das Laken, das ihn bedeckte, und griff nach ihren Fingern. Sie rührte sich nicht, und nach einer Weile fiel er in eine Art Schlaf.
    Trotz der Schmerzmittel, die er nahm, meinte er noch klar denken zu können, und dafür war er dankbar. Doch war ihm auch, als lenkte seine Gedanken ein anderer als der eigene Wille, führte sie auf Wege, die er nicht verstand; Zeit verging, nur, er fühlte sie nicht vergehen.
    Gordon Finch besuchte ihn fast jeden Tag. Stoner konnte die Abfolge dieser Besuche in der Erinnerung allerdings nicht klar zuordnen; manchmal redete er mit Gordon, wenn der nicht da war, und dann überraschte ihn die eigene Stimme im leeren Zimmer; manchmal hielt er mitten in einem Gespräch inne und blinzelte, als wäre ihm Gordons Gegenwart erst jetzt bewusst geworden. Einmal, als Gordon auf Zehenspitzen ins Zimmer kam, drehte er sich irgendwie überrascht zu ihm um und fragte: »Wo ist Dave?« Kaum sah er das panische Entsetzen in Gordons Gesicht, schüttelte er matt den Kopf und sagte: »Tut mir leid, Gordon. Ich war fast eingeschlafen und hatte an Dave Masters gedacht – hin und wieder sage ich, was ich denke, ohne es zu wissen. Das liegt an den Tabletten, die ich nehmen muss.«
    Gordon lächelte, nickte und machte einen Scherz, doch wusste Stoner, dass sich Gordon Finch in diesem Moment auf eine Weise zurückgezogen hatte, die eine Rückkehr unmöglich machte. Ihm tat es leid, dass ihm diese Frage zu Dave Masters entschlüpft war, diesem aufsässigen, von ihnen beiden geliebten Jungen, dessen Geist sie seit so vielen Jahren in einer Freundschaft zusammenhielt, deren Tiefe sie nie ganz ausgelotet hatten.
    Gordon sagte, dass ihn seine Kollegen grüßen ließen, und berichtete unzusammenhängend von Universitätsangelegenheiten, die ihn interessieren mochten, doch war sein Blick ruhelos, und ein nervöses Lächeln huschte über sein Gesicht.
    Edith kam ins Zimmer, und Gordon Finch erhob sich schwerfällig, um sie vor lauter Erleichterung über diese Störung herzlich und überschwänglich zu begrüßen.
    »Edith«, sagte er, »Komm, setz dich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher