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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
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gehen. Es gibt da gewisse curriculare und personelle Änderungen, die ich seit Längerem plane und die durch Stoners Rückzug möglich würden.«
    Stoner sagte zu Finch: »Ich habe nicht die Absicht, früher als unbedingt nötig in den Ruhestand zu gehen, nur um einer Laune von Professor Lomax nachzukommen.«
    Finch wandte sich an Lomax, der sagte: »Ich bin mir sicher, dass es da manches gibt, was Professor Stoner noch nicht bedacht hat. So fände er im Ruhestand die Muße, all das niederzuschreiben, wozu« – er legte eine dezente Pause ein – »ihm sein aufopferungsvoller Unterricht bislang keine Zeit gelassen hat. Es diente der akademischen Welt gewiss zur Erbauung, wenn die Früchte seiner langen Erfahrung …«
    Stoner unterbrach ihn: »Ich habe nicht vor, zu diesem Zeitpunkt meines Lebens eine literarische Karriere zu beginnen.«
    Ohne sich in seinem Sessel zu bewegen, schien Lomax sich vor Finch zu verbeugen. »Unser Kollege ist sicher nur zu bescheiden. Mich selbst zwingen die Vorschriften in zweiJahren, den Vorsitz des Fachbereichs abzugeben. Und ich habe durchaus vor, meine verbleibenden Jahre sinnvoll zu nutzen, ja ich freue mich sogar auf die Zeit der Muße.«
    Stoner sagte: »Ich hoffe doch, mindestens bis zu diesem feierlichen Augenblick Mitglied des Fachbereichs zu bleiben.«
    Lomax blieb einen Moment stumm. Dann sagte er nachdenklich zu Finch: »Während der vergangenen Jahre ist mir mehrfach der Gedanke gekommen, dass Professor Stoners Bemühungen zum Wohl der Universität vielleicht nur in unzureichendem Maße gewürdigt wurden, weshalb ich finde, dass eine Beförderung zum ordentlichen Professor ein passender Abschluss seiner Karriere an dieser Universität wäre. Ein feierliches Dinner aus gegebenem Anlass – eine passende Zeremonie. Das sollte höchst erfreulich sein. Zwar ist es bereits ein wenig spät im Jahr, und die meisten Beförderungen wurden schon ausgesprochen, doch bin ich mir sicher, dass sich eine Beförderung, wenn ich denn darauf beharrte, für das nächste Jahr arrangieren ließe, eine Beförderung zu Ehren einer vielversprechenden Emeritierung.«
    Mit einem Mal kam ihm das Spiel, das er mit Lomax getrieben und auf seltsame Weise auch genossen hatte, belanglos und gemein vor. Eine allgemeine Mattigkeit erfasste ihn, als er Lomax direkt anschaute und müde sagte: »Ich dachte, nach all diesen Jahren würden Sie mich besser kennen, Holly. Mich hat es noch nie im Mindesten gekümmert, was Sie meinen, mir ›geben‹ zu können, oder was Sie glauben für mich ›tun‹ zu können.« Er hielt inne, da er doch müder war, als er geglaubt hatte. Dann fuhr er mit einiger Anstrengung fort: »Darum geht es nicht, ist es noch nie gegangen. Sie sindein guter Mensch, denke ich, jedenfalls ein guter Dozent, andererseits aber sind Sie auch ein ignoranter Dreckskerl.« Wieder schwieg er kurz. »Ich weiß nicht, was Sie sich erhofft haben, aber ich gehe nicht in den Ruhestand – nicht am Ende dieses Jahres und nicht am Ende des nächsten Jahres.« Er erhob sich langsam und blieb einen Moment stehen, um seine Kraft zu sammeln. »Wenn die Herren mich nun bitte entschuldigen wollen, ich bin ein wenig müde. Ich überlasse es Ihnen zu besprechen, was Sie noch zu besprechen haben.«
    Er wusste, dass die Sache damit noch nicht ausgestanden war, aber das scherte ihn nicht. Als Lomax auf der letzten allgemeinen Fachbereichskonferenz des Jahres ankündigte, dass Professor William Stoner Ende nächsten Jahres in den Ruhestand gehen würde, erhob er sich und informierte die Fakultät, dass Professor Lomax sich irre, da er sich erst zwei Jahre nach dem von Lomax genannten Zeitpunkt von der Universität zurückziehen werde. Zu Beginn des Herbstsemesters lud der neue Präsident der Universität Stoner zum Nachmittagstee zu sich nach Hause ein und ließ sich weidlich über seine Dienstjahre aus, über die wohlverdiente Ruhe und die Dankbarkeit, die sie alle für ihn empfanden; Stoner gab sich so verschroben, wie er nur konnte, nannte den Präsidenten einen ›jungen Mann‹ und tat, als hörte er schlecht, sodass der junge Mann ihn zuletzt auf die versöhnlichste Weise, die ihm nur irgend möglich war, anschrie.
    Seine Anstrengungen aber, so bescheiden sie auch waren, ermüdeten ihn stärker, als er erwartet hatte, weshalb er zur Weihnachtszeit ziemlich erschöpft war. Er sagte sich, dass er tatsächlich alt wurde und dass er es langsam angehen musste, wenn er auch im verbleibenden akademischen Jahr
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