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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M
Autoren: Bernd Ulbrich
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dieses Stollensystem sein muß und kein anderes. Bis ins letzte Detail stimmt alles mit Kogols Beschreibung überein. Nur der sagenhafte Kamin, der Pfropfen auf der Flasche läßt sich nicht finden.«
Simaks Gesicht hinter dem Helmfenster wirkte gelassen. Er hatte offenbar nichts anderes erwartet.
»Dieser Gang dort«, sagte er, »könnte es sein. Kogols Schilderung zufolge müßte er es sogar sein. Er ist es aber nicht.«
Gould schüttelte den Kopf. »Es ist mir nie so recht anschaulich geworden, warum sich dieser verdammte Kamin nicht finden lassen sollte. Es hat mich zwar verwundert, jedoch nie mißtrauisch werden lassen.«
»Warum auf einmal«, entgegnete Simak spöttisch. »Bedenke, in welcher Verfassung sich Kogol befand!« Seine Worte behielten eine leichte, provozierende Nuance. »Er war am Ende. Fertig! Der Weg kam ihm weiter und beschwerlicher vor, als er tatsächlich ist. Die Beschreibung?« Er verzog die Mundwinkel, aber es kam kein Lächeln zustande. »Generationen haben sich auf Kogols Autorität berufen. Er kann sich geirrt haben; man muß es nicht gleich Lüge nennen. Wir sollten den Mut zu dieser Einsicht aufbringen.«
»Ich bitte dich«, sagte Gould, »die Beschreibung der Örtlichkeit ist dermaßen subtil und eindringlich, das kann nur ein Mensch niedergeschrieben haben, der selbst hier gewesen ist, der das mit eigenen, mit scharfen Augen gesehen hat.« Gould verstummte. Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. »Wie kann einer, dem die Sinne vor Erschöpfung schier versagen, so genau beobachten?«
Es war an Simak, den Kopf zu schütteln. »Das heißt nichts weiter, als daß er durch seine Konstitution in der Lage war, die Erschöpfung zu überwinden. Was findest du daran bedenkenswert?« Seine Stimme krallte sich an Gould fest. »Er war überdurchschnittlich! Seine körperlichen und geistigen Qualitäten! – Halt mal. Das hieße doch andererseits…« Er verstummte jäh.
Gould atmete auf. Es reizte ihn maßlos, daß Simak auf alles eine Erklärung hatte, eine gegenteilige, eine vereinfachende, eine unechte. Ihrer beider Widerspruch war der gleiche, sie waren beide auf dieselbe fündige Stelle gestoßen. Sie wichen dem Anblick ihrer klugen, verwirrten Mienen aus. Doch in der Stumpfheit der Felswände drohten ihre Blicke zu versinken.
»Aber wie denn«, murmelte Simak. »Wo führt das hin?«
Gould spürte ungewollt Befriedigung über diese Ratlosigkeit. Wäre es etwas Faßbares gewesen, so hätte er Simaks erschlafftes Selbstbewußtsein am liebsten gepackt, um es unter den Füßen zu zertreten. Aber er wollte sich über den Ekel, in einen weichen, sich windenden Körper hineinzustoßen, erheben.
Warum so aufrührerisch, Doktor Gould? Die Wahrheit ist zumeist simpel.
Welche Wahrheit, Professor Random? Die Ihrer Jugend?
»Dahin«, antwortete er Simak, »daß Kogol gelogen hat, an irgendeinem Punkt hat er gelogen. Möglicherweise hatte der frühe Random nicht unrecht.« Es erschien ihm eigentlich unvorstellbar, was er da äußerte. Aber er hoffte, er könnte Simak an Schamlosigkeit übertreffen, und der würde sich winden. Er hatte auf eine solche Situation nicht gewartet. Sie war nicht vorausschaubar gewesen. Doch merkwürdigerweise traf sie ihn nicht unvorbereitet an. War es Randoms Wort gewesen, auf das er sich nun gestellt sah, als auf ein sicheres Fundament?
»Bist du verrückt?« fragte sein Partner. Seine Lider zuckten nervös. »Wir können nicht zurückgreifen auf Randoms Jugendsünden. Wir müssen eine andere Erklärung liefern.«
»Es wäre doch menschlich«, sagte Gould, indem er alle Boshaftigkeit, deren er fähig war, in dieses eine Wort legte. »Sollte Kogol der Welt seine Todesangst mitteilen? Jedes speichelerstickte Stöhnen? Die Angst vor dem nächsten Schritt? Den Ekel vor dem eigenen Schweigen, den Tränen der Schwäche? Würdest nicht auch du der Nachwelt deine Zweifel, Ängste, Schmerzen verschweigen?«
»Hör auf!« Licht und Schatten gaben Simaks Gesicht den Anschein einer Grimasse.
Gould lachte. Er wußte nicht warum, aber es befreite ihn. Wie armselig, wie entblößt das Antlitz seines Gefährten wirkte. Nur Magerkeit, kaum noch Askese.
»Lassen wir die Scherze«, sagte Simak. »Nun gut, vielleicht war er nicht zu Tode erschöpft und hat sich trotzdem geirrt. Die Sorge um die Kameraden, dann ihr Ende, der Selbstmord, das Alleinsein vor Augen! Milliarden Kilometer weit nur er, er ganz allein! Umgeben von Tod und Kälte, sich den Glauben an sich und an die Rettung zu
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