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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M
Autoren: Bernd Ulbrich
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Kosmonauten. Anläßlich dessen wurde die Astrogeschichtswissenschaftliche Sektion unserer Universität mit der Erarbeitung einer Monografie beauftragt. Wesentlicher Punkt in Kogols Leben und Wirken ist die Katastrophe, durch die seine Plutoexpedition umkam. Wir haben vor, den Ort der historischen Handlung zu untersuchen. Natürlich hoffen wir, wie alle vor uns, den Zugang zur Großen Höhle zu finden. Aber davon abgesehen, wird der Inhalt unserer Arbeit an Lebendigkeit gewinnen. Sie soll breite Schichten erreichen und ein aktuelles Geschichtsbild vermitteln.
Eine Vielzahl von historischen Bedingungen verhinderten lange Zeit die Erforschung der äußeren Planetengruppe. Es ist jedem klar, daß ein solch grandioses Unternehmen nur getragen werden kann von der Kraft einer geeinten, auf friedliche Entwicklung orientierten Welt. Das erste Unternehmen dieser Art stellte Kogols Plutoexpedition dar.«
Simaks Bemerkung sollte ein Aufruf sein zu stillem Gedenken, Blicke drangen in den Referenten, fortzufahren, denn das Gefühl, sich nur wenige hundert Kilometer vom Schauplatz des tragischen Geschehens entfernt zu befinden, stellte eine bedrückende Gegenwärtigkeit her.
»Schon zu dem Zeitpunkt, da er die Leitung der Expedition annahm, galt Kogol als überdurchschnittlicher Kosmonaut. Zweimal hatten Unternehmungen zum Merkur unter seinem Befehl gestanden. Als Träger höchster Auszeichnungen umgab ihn lange vor dem Plutounternehmen ein Ruf, der die Zeiten zu überdauern beste Aussichten hatte. Doch noch fehlte der Mythos, die Legende, die der Nachwelt im besten Sinne den – Übermenschen hinterläßt.«
Wie entstehen Legenden? dachte Gould. Wer macht sie? Daß jemand sie macht, erschien ihm unbestreitbar. Denn warum sollte sonst die Genialität des einen in Vergessenheit geraten, während die des andern überlebte. Früher hatten Potentaten und Mäzene sich ihrer bedient. Wer war an ihre Stelle getreten? Er ahnte es, aber ihm fehlte ein Bild. Es konnte nicht nur die Zeit sein, in der Kogol lebte, eine Zeit, die Helden brauchte.
»Jede Zeit«, fuhr Simak fort, »hat ihre Helden. Ihr Charakter wandelt sich nie. Er war und ist der eines kühlen Draufgängers, der mit Intelligenz und ein wenig Glück stets erfolgreich auf dem Grat zwischen Waghalsigkeit und Kalkül balanciert. Diese Eigenschaften sind in ihrer Einheit vielleicht so selten wie ein glasklarer Diamant.« Vor diesem Bild entflammten die Augen des Redners. »Begreift die historische Bedeutung einer solchen Konstellation! Der Zufall«, als wollten sie Unsichtbares packen, fahren seine Hände vor, »wird zum Motor des Gesetzes.
Zu den Fähigkeiten des Menschen, der die Katastrophe als einziger überlebt, zählt überdurchschnittliche Intelligenz, eine eiserne Gesundheit, ein Wille, der übermenschlich zu sein scheint, sowie überaus empfindsame Sinne. Von seiner künstlerischen Sensibilität legt sein Tagebuch, ein Werk der Weltliteratur, Zeugnis ab. Dieser Mensch kennt nur einen Weg, den geraden. Winkelzüge und Intrigen sind ihm fremd. Er stützt sich auf eine moralische Integrität, der ein offener und makelloser Charakter zugrunde liegt. Vorwärts schreitet er seinen Weg, ohne je einen Blick in Unsicherheit und Ängstlichkeit hinter sich zu werfen. Was hätte er zu befürchten? Neid und Mißgunst erreichen ihn nicht.«
War es nachlassende Aufmerksamkeit, die Gould beobachtete, oder ließ ihre Hingabe die Mienen erschlaffen? Er führte es auf die Anstrengung des Banketts zurück. Ihn selbst fesselte Simaks Vortrag überaus, wenngleich auch die Ausführungen über Kogols Charakterbild hinlänglich bekannte Sentenzen wiederholten. Der leidenschaftliche Ton hingegen ließ ein Engagement spüren, das alle Fesseln abgenutzter Vokabeln sprengte. Simaks Darstellung assoziierte Bilder voller Leben.
»Der Flug verläuft ohne Zwischenfälle. Das Arbeitsprogramm wird planmäßig absolviert. Im Vorüberfliegen setzt man Sonden zur Erforschung der Monde der großen Planeten aus. Die Stimmung an Bord ist ausgezeichnet.
Mit der Landung auf Pluto scheint die gefahrvollste Etappe der Reise bewältigt zu sein. Die Tagebücher berichten ausführlich vom Ablauf der Tage, bis zu jenem Zeitpunkt, da die Höhle entdeckt wird. Die Hälfte der Leute wird zu einem großangelegten Erkundungsunternehmen abgezogen. Kogol selbst steht an ihrer Spitze.
Wir heute wissen, in welche Situation sie sich begaben. Die an Bord verbleibende Mannschaft erreichen jedoch nur lückenhafte Informationen.
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