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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M
Autoren: Bernd Ulbrich
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nicht unserer dialektischen Geschichtsauffassung«, sagte Simak, »wenn wir die Kategorien derart säuberlich trennen? Hier der strahlende Held, dort die Versager. Müßte sich das nicht durchdringen, ergänzen, bedingen? Könnte es nicht gerade umgekehrt sein?«
»Geschichte«, sagte Gould lahm, »wird von Menschen gemacht. Geschichte läßt sich nicht schematisieren.«
»Ich werde dir die Antwort sagen«, erwiderte Simak, »um die du dich eben herumgedrückt hast. Sie lautet: In diesem Fall müßte Kogol gelogen haben.«
Herzschläge lang hielt Gould den Atem an. So weit zu gehen, hätte er ihm niemals zugetraut. Er fragte sich, was wirklich dahintersteckte. »Hast du dir zum Ziel gesetzt, das herauszufinden?«
Simak lachte exaltiert. »Ein Hoch auf die Märtyrer der Wissenschaft! Simak und Gould, genagelt ans Kreuz der Erkenntnis! Hast du vor, dich zu opfern wegen irgendeiner abstrakten Verantwortung?«
In einem Winkel seiner Erinnerung verbargen sich Fragmente. Die Worte Randoms: Mit dieser Arbeit übernehmen Sie eine hohe Verantwortung. Wollen Sie sie tragen?
Phrase oder Doppelsinn? Random war ein alter Mann. Welche Verantwortung hatte sein Leben geprägt? War es die, dem Idol der Menschheit letzten Schliff zu geben, Glanz, Hochglanz? Würde es im umgekehrten Falle den Helden Kogol nicht mehr geben? Ist ein falscher Heros besser als gar keiner? Wen interessierte es noch, ob Kogol überhaupt gelebt hatte? Er konnte genausogut eine Erfindung sein. Was änderte es? Nein, er hatte nichts anderes vor! Opfer? Es gab Kogol. Es gab ihn seit Jahrhunderten. Er existierte in der Phantasie der Menschen. Daran war nicht zu rütteln. Wem brachte es etwas ein, würde er gestürzt? Eine Welt steht hinter Kogol, ermahnte er sich. Eine Welt von Meinungen und von Lehrmeinungen.
Seine eigenen Arbeiten über die amerikanische Raumfahrt des zwanzigsten Jahrhunderts hatten seinen ersten Ruf begründet. Der Kreis der Experten hatte ihn aufgenommen. Er gehörte zu ihnen. Sie alle können nicht unrecht haben, dachte er. Random hielt ihm die Hand hin. Ihm, einem Menschen, der den Forderungen seines Berufs bislang treulich gefolgt war. Wie ein Bodensatz hinterblieb ihm der peinigende Gedanke, daß es leichter sei, fremde Götzen zu stürzen als die eigenen.
Er begegnete Simaks Blick. Er, hatte ihn beobachtet. Er sah das an der Art der Aufmerksamkeit in dessen Augen. Darin offenbarte sich die Aufforderung, die Chance zu packen. Jede seiner innersten Regungen schien er zu registrieren. Beinah suggestiv beeinflußte ihn Simaks Konzentration. Diese Fähigkeit hatte ihn schon immer fasziniert. Nun war er ihr Gegenstand. Mußte das nicht ein ungewöhnlicher Mensch sein? Er erschrak. Random hatte er sich ausgeliefert. Random war ein weiser, alter Mann, der nicht mehr die Kraft hatte, Götzen zu stürzen. Plötzlich erschien ihm Simak viel zu jung, um zynisch zu sein. Wie gut kannte Random Simak? Welche Absicht verfolgte er, als er gerade ihn zu seinem Partner erkor? Es war klar, daß ein Mann in Randoms Stellung Absichten verfolgte, nichts ohne Absicht tat. Random hatte von Verantwortung gesprochen. Er wollte ihn nicht enttäuschen. Aber war das nicht vielmehr als ein Signal zu verstehen? Was für eine Verantwortung konnte er meinen, verlangte er die Bestätigung von Bekanntem?
Er wich Simaks Blick aus und starrte in die endlose Landschaft. Sollte es tatsächlich ein solch verworrenes Spiel sein? Shakespeare fiel ihm ein.
»Du machst es dir schwer«, äußerte Simak. »Selbst wenn uns unwiderlegbare Beweise in die Hände fielen, es würde sie niemand anerkennen. Kogol ist Kogol! Bedeutet es dir nicht eine Beruhigung zu wissen, es kann nichts schiefgehen? Wir kommen vorwärts ohne Risiko. Das ist unsere Lebensqualität.«
Gould schwieg. Er verkroch sich in die Geborgenheit seines Sitzes. Er hielt sich fest an der Straffheit der Gurte. Er wollte Simak nicht erwidern müssen, daß er recht habe. Alles, was ihm im Augenblick wahr erschien, war die Straffheit der Gurte, die Weichheit des Sitzes, die Undurchdringlichkeit der Panzerung. Diese Sicherheit konnte ihm niemand nehmen. Auch nicht Simak.
Random duldete neben sich nur Mitarbeiter, die er schätzte. Manch einen von ihnen hätte er dazu benutzen können, seiner Karriere ein Glanzlicht aufzustecken. Manch einen von ihnen hätte er als seinen Nachfolger ausersehen können, würdig, sein geistiges Erbe anzutreten. Randoms Jugendsünde mischte sich in seine Gedanken, sein Irrtum. War das der
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