Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich
Autoren: Charlie Higson
Vom Netzwerk:
graues Haar und einen kurz getrimmten pechschwarzen Bart, der fast die Hälfte seines Gesichts bedeckte. Er erinnerte James ein wenig an König George.
    »Wissen Sie, wer ich bin, Mister Bond?«, fragte er schneidend.
    »Ich fürchte nein, Sir. Ich bin soeben erst angekommen.«
    »Ich bin Mister Codrose. Ihr Hausvater. Solange Sie hier an der Schule sind, werde ich Ihr Vater, Ihr Priester und Ihr Gott sein. Ich hätte Sie bereits gestern Abend begrüßen sollen, aber irgend so ein verfluchter Dummkopf aus meinem Haus ist auf der Straße in ein Auto gelaufen und ich habe die halbe Nacht im Krankenhaus verbracht. Ich nehme an, Sie haben die Hausdame bereits kennen gelernt?«
    »Ja, Sir.«
    »Gut. Sie sollten dich beeilen, sonst kommen Sie zu spät zum Morgenunterricht. Wir werden vor dem Abendessen miteinander plaudern.«
    »Ja, Sir«, sagte James und wandte sich zum Gehen.
    »Moment!« Codrose starrte James mit kalten Fischaugen an.
    »Willkommen in Eton, Bond.«
     
    Tags zuvor war James auf dem Bahnhof von Windsor angekommen.
    Durch eine dicke Dampfwolke hindurch hatte er einen ersten Blick auf die hohen Mauern und Türme von Windsor Castle geworfen und sich gefragt, ob der König sich wohl zurzeit da aufhielt. Vielleicht saß er ja gerade am Fenster und schaute sich die vielen Züge an?
    Vom Bahnhof aus war James einer Schülergruppe bis nach Windsor gefolgt, wo sie die breite graue Themse überquerten, die die Stadt teilte. Auf der einen Seite befand sich das Schloss, auf der anderen Seite war Eton College. Die Größe der Schule erstaunte ihn. Sie erstreckte sich beinahe über die Hälfte der Stadt und uferte in alle Richtungen aus. Über tausend Jungen gingen hier zur Schule und wohnten in den zahlreichen, weit verstreuten Internatsgebäuden.
    Er hatte mehrmals nach dem Weg gefragt, was dazu führte, dass er schließlich allein und verloren einen Pfad entlangging, der Judy’s Passage hieß, und etwas hilflos die namenlosen, hoch aufragenden Gebäude rechts und links des Weges betrachtete.
    Da kam ein dicklicher Junge auf ihn zu. Er war indischer Abstammung und trug einen weißen Turban auf dem Kopf.
    »Bist du vielleicht der Neue?«, fragte er.
    »Könnte durchaus sein«, antwortete James.
    »Heißt du James Bond?«
    »Ja.«
    Der Junge lächelte und schüttelte seine Hand. »Pritpal Nandra«, stellte er sich vor. »Ich habe dich schon gesucht.«
    Er führte James in ein nahe gelegenes Gebäude, das bereits etwas baufällig war.
    »Ich habe das Zimmer neben dir«, sagte Pritpal. »Ich werde mit dir zu Tisch sitzen.«
    »Zu Tisch sitzen?«
    »Wir werden gemeinsam unser Abendessen zubereiten«, erklärte Pritpal, »und es dann abwechselnd in einem unserer Zimmer einnehmen. Du, ich und noch ein dritter Junge. Wir haben uns schon gefragt, wie du wohl sein würdest.«
    »Und? Bist du zufrieden?«
    Pritpal lächelte. »Ich denke schon.«
    James folgte ihm in das düster wirkende Innere des Hauses, durch die Eingangshalle und drei uralte Treppen hinauf bis zu einem langen Korridor.
    »Da sind wir«, sagte der indische Junge und stieß eine quietschende, dick mit blauer Farbe gestrichene Tür auf. James warf einen ersten Blick auf sein Zimmer.
    Es war winzig, mit einer Dachschräge, die fast bis zum Fußboden reichte, und einem großen schwarzen Dachbalken, der den Raum teilte. Erleichtert bemerkte James, dass seine Truhe bereits eingetroffen war. Sie war ein Erinnerungsstück an sein früheres Leben.
    »Dein neues Zuhause«, sagte Pritpal. »Nicht gerade umwerfend, was? Aber du kannst es dir gemütlich machen. Da ist dein Sekretär.«
    »Mein was?«
    »Dein Sekretär.« Pritpal deutete auf ein etwas ramponiertes Möbelstück, eine Art Kommode mit Schubladen und einer Schreibtischplatte obenauf, zu der auch ein kleines Bücherbord gehörte. Es war ziemlich zerkratzt, denn die Vorbesitzer hatten sich mit ihrem Namen darauf verewigt. Ein besonders enthusiastischer Schüler hatte seinen Namen sogar mit einem heißen Schürhaken eingebrannt.
    James sah sich um. Außer dem Sekretär gab es noch einen kleinen Tisch, eine Waschschüssel, einen Windsor-Stuhl und neben dem Kamin lag ein dünner, zerschlissener Läufer. Er runzelte die Stirn. Etwas fehlte.
    »Und wo schlafe ich?«, fragte er.
    Pritpal lachte.
    »Dein Bett ist dahinten«, sagte er und deutete auf einen Vorhang, der ein unförmiges Gestell an der Wand verdeckte. »Das Hausmädchen klappt es vor dem Abendgebet herunter. Du wirst dich an vieles gewöhnen müssen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher