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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich
Autoren: Charlie Higson
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Er ächzte vor Anstrengung. Und dann – er wusste selbst nicht, wie es passieren konnte, alles ging so schnell – bekam er den Haken frei, der Aal machte einen hohen Satz und das Nächste, was er sah, war, dass der Haken tief in seinem Daumen steckte.
    Es tat fürchterlich weh. Ein brennender Schmerz jagte durch seine Hand bis hoch in den Arm. Der Junge schnappte nach Luft und biss gleich darauf die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Es war ein ruhiger Abend, jedes Geräusch würde über Meilen hinweg zu hören sein, weil es von den hohen Felsen und dem Wasser widerhallte.
    Der Aal schlüpfte weg und platschte ins Wasser. Eine Welle der Übelkeit erfasste den Jungen. Er schwankte und war nahe daran, ohnmächtig zu werden. Zuerst brachte er es gar nicht über sich, seinen Daumen genauer anzusehen, aber schließlich tat er es doch. Der Haken war in den Handballen gedrungen, dort, wo er in den Daumen überging, und stak auf der anderen Seite des Daumens heraus. An der Stelle, wo sich die Widerhaken durchs Fleisch gebohrt hatten, war die Haut tief eingerissen. Blut tropfte von der Wunde in das eisige Wasser.
    Der Junge hatte Glück, dass die Spitze nicht im Daumen stecken geblieben war, aber er wusste auch, dass er den Angelhaken nicht einfach herausziehen konnte. An der gebogenen Seite waren die Widerhaken und am anderen Ende befand sich der Metallring, an dem die Leine befestigt war.
    Es gab nur eine Möglichkeit.
    Der Junge lehnte die Angel an den Felsen, griff mit der anderen Hand in die Tasche und zog seine Anglerzange heraus.
    Er holte tief Luft, setzte die Zange da an, wo die Leine festgeknotet war, und schnapp! brach der Ring ab. Rasch, damit er gar nicht erst darüber nachdenken konnte, packte der Junge den Haken an der Spitze und zog ihn heraus. Erneut durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Er ließ sich gegen den Felsen sinken, weil seine Beine nachzugeben drohten.
    Für heute, das war klar, würde es nichts mehr mit dem Angeln werden. Bei dem Gedanken fing der Junge an zu weinen. All die Mühe waren umsonst gewesen: Ein lausiger Aal und ein verletzter Daumen war alles, was ihm sein Abenteuer eingebracht hatte. Es war so ungerecht!
    Dann nahm er sich zusammen. Er musste etwas unternehmen, denn die Wunde blutete immer noch. Also wusch er die Hand im See. Das Blut verfärbte sich in dem kalten Wasser dunkel und sah ölig aus. Aus seiner Hemdtasche zog der Junge ein Taschentuch hervor und wickelte es fest um seinen Daumen. Er zitterte am ganzen Körper und ihm war schwindlig. So vorsichtig wie möglich nahm er seine Rute und machte sich auf den Weg zum Ufer, watete durch das von seinem Blut getrübte Wasser.
    Und dann spürte er es.
    Ein Schlag gegen sein Bein.
    Und dann wieder einer.
    Noch mehr Aale. Was war nur mit ihnen los? Für gewöhnlich griffen Aale Menschen nicht an. Sie ernährten sich von Abfallresten und Fröschen und kleineren Fischen …
    Der Junge stakste weiter. Vielleicht hatte er sich das auch nur eingebildet.
    Nein. Da war es wieder. Ein kräftiger Schlag.
    Er spähte ins Wasser. Unter der dunklen Oberfläche sah er sie. Es waren hunderte. Es war eine zusammengeballte, zuckende Masse, ein wirres Medusenhaupt. Aale. Wohin er auch sah, waren Aale. Sie waren verschieden groß. Es gab kleine und dünne, aber auch riesige Biester, die zweimal so lang waren wie der, den der Junge an der Angel gehabt hatte. Das Wasser brodelte nur so von ihnen. Sie stießen gegen seine Beine und er suchte strauchelnd nach Halt. Seine verletzte Hand tauchte ins Wasser und sofort zerrten gierige Mäuler an dem blutigen Taschentuch und rissen es in Fetzen.
    Panik erfasste den Jungen. Er versuchte mit großen Sprüngen ans Ufer zu gelangen, doch er rutschte aus. Seine Füße traten nach einem festen Untergrund und dabei glitt er ungewollt in den tieferen Teil des Sees. Für einen Augenblick tauchte sein Kopf unter Wasser. Aale streiften sein Gesicht. Dann spürte er wieder festen Boden unter den Füßen und stieß sich nach oben. Er schnappte nach Luft. Seine Stiefel waren nun allerdings mit Wasser gefüllt. Mit Wasser und mit Aalen. Er spürte, wie sie zwischen Gummistiefel und Beine gepresst wurden.
    Wenn er es schaffte, seine Füße freizubekommen, würde er sich im Wasser fortbewegen können. Entsetzt stellte er fest, dass seine Glieder ihm den Dienst versagten.
    »Hilfe!«, schrie er. »Hilfe!« Dann sank er wieder in die Tiefe.
    Diesmal schienen ihn sogar noch mehr Aale zu bedrängen. Einer von ihnen
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